Samstag, 3. Januar 2009

Norwegen 2000 - Neue Wege - 20. Jokkmokk und Arvidsjaur

Jokkmokk und Arvidsjaur

Das Frühstück musste ich mir mit den blutrünstigen Saugern teilen. Kaum saß ich am Tisch fielen die Biester in Schwärmen über mich her. Merkwürdig war, dass zuvor nicht eine Mücke zu sehen war. Ich hatte den Verdacht, dass einige von ihnen Wache schoben und sobald ein Opfer (Mensch) auftauchte, rief der Wächter. „Auf geht’s unser Frühstück ist soeben eingetroffen!“ Und ihre Kriegsführung scheint aufzugehen, trotz großer Verluste zählte ich später weit über fünfzig Einstiche. Und sagen sie nur nicht, selbst schuld, es gibt doch genügend Schutzmittel. Klar gibt es die, aber sie helfen nicht! Zumindest dann nicht, wenn es sich um ganze Schwärme handelt, die über einen herfallen.

Mein Ziel war heute zunächst Jokkmokk. Hier wollte ich Muddus Nationalpark etwas wandern. Auf den Weg dorthin sollte es aber zuvor noch zu einigen Begegnungen der tierischen Art kommen. Dabei handelte es sich wiederum um Rentiere, wovon eines ganz besonders auffiel. Ich war vielleicht eine halbe Stunde gefahren, als ich auf der linken Seite eine Bewegung wahrnahm. In stellte den Wagen an der Parkbucht ab, nahm die Kamera und lief ein Stück den Weg zurück. Schon vom Auto aus sah ich das Geweih. Das Tier stand im Straßengraben und äste gemütlich. Mein Auftauchen schien ihn überhaupt nicht zu stören. Er schaute auf, riss noch etwas Gras aus und trabte dann ganz gemütlich auf die Straße. Zwanzig, fünfundzwanzig Meter von mir entfernt baute er sich mitten auf der Straße auf. Dann schaute er in meine Richtung, so als wollte er sagen: „Ist es so recht?“ Ja, mir war es recht und ich machte meine Bilder von dem prächtigen Burschen. Ich ging noch einige Schritte näher heran. Das schien ihm aber nicht zu behagen, denn nun machte er seinerseits einige Schritte auf mich zu, so als wollte er sagen: „Nun übertreibe es aber nicht, Portraits wird es heute nicht von mir geben und Autogramme schon gar nicht.“
Also gut, verstehe. Ich drehe mich um und kehre zu meinem Wagen zurück. Der Bursche ist zufrieden und verschwindet im Unterholz. Ich meine, das ist doch Gastfreundschaft, oder nicht?

Polarkreis südlich von Jokkmokk (Schweden)
Bis Gällivare begegnen mir noch einige Rentiere. Während ich die dortige Kirche in Augenschein nehme, fallen mir die Worte des Paares aus Koblenz ein, die mir vor einigen Tagen begegnet sind. „Wenn du nach Jokkmokk fährst, dann besuche Brigitte dort. Du kannst sie gar nicht verfehlen, der Shop ist durch die vielen Fahnen schon von weitem erkennbar.“
Es war noch recht früh und vielleicht war dort ja auch eine Tasse Kaffee zu bekommen. Als ich in Jokkmokk einfuhr hielt ich Ausschau nach der auffälligen Hütte und tatsächlich entdeckte ich sie ein Stück hinter dem Ortsschild. Ich fuhr auf das Grundstück und klopfte an der Eingangstür. Ein Schild in deutscher Sprache verwies auf den Nebeneingang falls dieser verschlossen sein sollte, und wenn sich dort niemand zeigte, dann war leider niemand im Haus. Gerade wollte ich den Nebeneingang aufsuchen als die Tür geöffnet wurde. Eine Frau in meinem Alter stand im Türrahmen und nach einem Blick auf mein Kennzeichen sagte sie überschwänglich: „Ein Nachbar, ja das ist ja eine Überraschung!“ Ich wühlte schnell in meinen Erinnerungen, war mir aber sicher, diese Frau nie zuvor gesehen zu haben. Es klärte sich auch schnell, wie sie diese Äußerung verstanden wissen wollte. Sie stammte aus Mönchen Gladbach und somit war Neuss eine unmittelbare Nachbarstadt. Den erhofften Kaffee bekam ich ohne zu fragen, ein Stück selbst gebackenen Kuchen noch dazu, als Gegenleistung musste ich etwas aus der Heimat erzählen. Bei soviel Gastfreundschaft fällt das nicht schwer. Im Laufe des Gesprächs erwähnte ich auch die Herrschaften aus Koblenz, sie konnte sich gut an die beiden erinnern. Ich kam auf die Warnung zu sprechen, die mir das Paar zukommen lassen hatte. Ich Miene verfinsterte sich ein wenig und sie nickte nachdenklich. Tatsächlich hatten die beiden mit keinem Wort übertrieben. Seit einigen Jahren, immer zur Erntezeit, stieg die Kriminalitätsrate sprunghaft an. Das Haus in der Zeit unverschlossen zu lassen, wie es auch hier in Schweden üblich war, grenzte in den Sommermonaten an großen Leichtsinn. Sie war keineswegs ausländerfeindlich eingestellt, aber ein Zusammenhang zwischen den polnischen Erntehelfern, die sich von Ende Juni bis September im Land aufhielten, war nicht von der Hand zu weisen. In den Monaten davor und danach gab es so gut wie keine Einbruchs- und Diebstahldelikte. Sie wollte das Thema auch nicht verallgemeinert sehen. Der Großteil der Polen kam wirklich hierher um sich auf ehrliche Weise das Geld zu verdienen. Einige schwarze Schafe, die in Banden auftraten, ernteten lieber bei den durchreisenden Touristen oder auf den abgelegenen Höfen ab. Am Schluss warnte auch sie mich davor alleine weiter zu reisen. Hier oben im Norden war es noch nicht ganz so schlimm, weiter südlich wäre ich in jedem Fall ein potentielles Opfer.


Überall entlang der Straßen tauchen sie auf, Rentiere
Nach gut zwei Stunden setzte ich meine Fahrt fort, der Muddus Nationalpark wartete. Im Rucksack Proviant und Kamera marschierte ich los, in der Hoffnung auf weitere Tiersichtungen. Nach gut vier Stunden über Trampelpfade und Holzstege gab es außer der Flora nichts zu bestaunen. Aber deswegen war ich keineswegs enttäuscht, ich habe die Wanderung auch so genossen..
Am Nachmittag fuhr ich weiter in Richtung Arvidsjaur, hier wollte ich mein Nachtquartier aufschlagen. Während der Fahrt fielen mir immer mehr Autos mit polnischen Kennzeichen auf. In Gruppen zu viert oder sechst waren die Menschen damit beschäftigt die beliebte Moltebeere zu ernten. Nichts besonderes also, sieht man mal von einem Kleidungsstück ab, dass mir bis dahin noch nicht begegnet war. Es handelte sich um einen Hut an dem ein feines Netz herunter hing. Ein Mückenschutz. Das war doch mal eine gute Erfindung, dachte ich mir, während ich die Fahrt fortsetzte. Irgendwann kam mir ein weiteres Fahrzeug mit polnischen Kennzeichen entgegen, wie viele andere zuvor schon, doch diesmal sollte etwas anders sein. Im Rückspiegel sah, dass das Fahrzeug gewendet wurde. Ich dachte mir noch nichts dabei. Obwohl ich am oberen Limit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit fuhr, holte das Fahrzeug schnell auf. Logischerweise kamen mir die Warnungen wieder in den Sinn, aber es konnte ja auch durchaus eine andere Erklärung geben.

Zum Greifen nahe, aber die Tiere stören sich nicht daran
Ein Parkplatz tauchte auf, das war die Gelegenheit die Absichten der Verfolger herauszufinden. Ich setzte den Blinker und fuhr auf den Parkplatz, das Fahrzeug folgte mir. Daraufhin beschleunigte ich und verließ den Platz wieder, das Auto mit den drei Polen beschleunigte ebenfalls. Nun waren mir ihre Absichten klar. Ich schaltete das Handy ein und wählte die Notrufnummer vor, für den Fall der Fälle. Arvidsjaur war noch etwa fünfundzwanzig Kilometer entfernt, bis dahin wollte ich es schaffen in der Hoffnung, dass meine Verfolger dann aufgaben. Ich machte mich ziemlich breit auf der wenig befahrenen Straße, um zu verhindern, dass sie mich überholen konnten. Ungefährlich war das nicht, die Straße ist kurvig, aber auch die Polen schienen den Straßenverlauf nicht besonders gut zu kennen. Sie versuchten nur zweimal zu überholen. Nach fünfzehn Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen und mir einiges an Energie und Fahrkönnen abverlangt hatten, erreichte ich den Kreisverkehr vor Arvidsjaur. Rechts lag die Polizeiwache, die war mein Ziel. Direkt davor hielt ich an, nahm meine Papiere an mich und eilte hinein. Die Polen waren mir bis hierher gefolgt. Erst als ich durch die Tür ging, hörte ich durchdrehende Reifen und das Fahrzeug verschwand in die Richtung aus der wir gerade gekommen waren.
Ich erklärte dem Polizisten was gerade vorgefallen war, er zögerte auch keinen Moment und schickte die einzigen beiden Streifenwagen, die er zur Verfügung hatte, hinaus. Sie sollten nach dem Fahrzeug, dessen Kennzeichen ich mir notiert hatte, suchen.


Arvidsjaur, Aittje Museum
Der Polizist bezeichnete es als leichtsinnig von mir, so ganz alleine zu reisen. Ich habe noch mal Glück gehabt und er empfahl mir einen sicheren Campingplatz in Arvidsjaur. Ich sollte mir gut überlegen ob ich meine Reise durch Schweden wirklich fortsetzen wollte. Ich sollte ihn auch nicht falsch verstehen, als Tourist bin ich natürlich willkommen. Die Warnung diene auch nur dazu, zu verhindern, dass ich einen falschen Eindruck von dem schönen Land bekomme und es deswegen nicht mehr besuchen wollte.
Die Überfälle auf Touristen durch Polenbanden seien leider ein Problem und die Polizei konnte nicht überall sein, um die Touristen zu beschützen. Zu dem war ich auch noch alleine unterwegs.
Nach einer halben Stunde kamen die Streifenwagen zurück, ohne Erfolg. So geht das in den meisten Fällen, diese Banden tauchen auf und verschwinden ehe man sie zu fassen bekommt. Ich bedankte mich für die Hilfe und die deutlichen Worte und setzte mein Weg fort.
In Arvidsjaur besuchte ich als erstes das Aittje Museum, in dem ich auch gleich zu Mittag aß, eigentlich war es schon Abendbrotzeit, aber was soll’s. Das Museum war sehr interessant, leider waren die Lichtverhältnisse miserabel und das Fotografieren unerwünscht. Zum anderen ließ mich das Erlebnis auf den Weg hierher nicht mehr los. Die Gefahr war zugegen, das hatte ich heute deutlich zu spüren bekommen.
Nach dem Besuch im Museum suchte ich den empfohlenen Campingplatz auf. Der Platz zählt schon zur gehobenen Kategorie. Eine Rezeption, wie man sie in einem guten Hotel erwarten würde, freundliches Personal und die Personaldatenerfassung per Computer. Auch der Platz selber zeigt, dass er gehobenen Ansprüchen gerecht wird. Bootsverleih, Tennisplatz, Minigolfanlage und noch einiges mehr. Wenn ich hier also sicher war, dann wahrscheinlich deswegen, weil der Platz auch einem gehobenen Preisniveau zuzuordnen war, zumindest vermutete ich das zu dem Zeitpunkt.

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