Sonntag, 7. August 2011

Norwegen 2006 - Eine Winterreise mit der Hurtigrute - 6. Tag – Tromsø und der fehlende Schnee

6.– Tromsø und der fehlende Schnee
Die Nacht war kurz, aber wer beklagt sich wenn ihm Gutes widerfahren ist? - Ich jedenfalls nicht.
Noch ein wenig verschlafen nehme ich das Frühstück zu mir als eine Durchsage meine müden Geister aufscheucht.
"Meine Damen und Herren, wir müssen ihnen leider mitteilen, dass die für heute geplante Hundeschlittenfahrt nicht stattfinden kann", drang die Stimme unserer Reiseleiterin an mein Ohr. "Es fehlt uns der Schnee." So lautete die deutsche Fassung, die mir die norwegische Version nur bestätigte.

Neptun ist an Bord der Richard With gekommen und sucht Opfer

Nun war es also amtlich, was die Tage zuvor schon wie ein Gespenst der Befürchtung durch unsere Köpfe schwebte. Die viel zu milde Wetterlage in ganz Europa reichte tatsächlich bis weit über den Polarkreis.
Einige wehmütige Sekunden verstrichen, doch es machte keinen Sinn die Köpfe hängen zu lassen. Die Natur hatte ihre eigenen Gesetze auch wenn der Mensch dazu beitrug diese durcheinander zu bringen. Und erst gestern war ja im Dagbladet und im VG gleichermaßen zu lesen "Klimaschock für Nordnorwegen".
Die einzige Alternative für den Aufenthalt in Tromsø war eine Stadtrundfahrt, doch die kam für mich nicht in Frage. Ich würde mir also meinen eigenen Weg suchen. Doch bis dahin war noch etwas Zeit.

Eiskalt wandern die Eiswürfel den Rücken hinunter 

Noch bevor wir den nächsten Hafen erreichten wurde die Polartaufe angekündigt. Ein Ritual das immer nach der Überquerung des Polarkreises durchgeführt wird. Treffpunkt für alle die mutig genug waren, war das Freideck 8. Es war kalt und windig, dennoch hatten sich etliche der Reisenden eingefunden. Und Neptun stellte die Willigen auf eine kalte Probe. Das Taufwasser war mit reichlich Eiswürfel angereichert und die blieben nicht im Kübel sondern landeten bei den Taufwilligen im Hemdkragen und bahnten sich einen eiskalten Weg den Rücken hinunter. Das Ganze garantiert mit Gänsehauteffekt.
Zwei Stunden später erreichten wir Finnsnes, nachdem ich Harstad duschend verpasst hatte. Der kleine Ort ist Verbindungspunkt zur größten Insel Norwegens, Senja.


Seemannsdenkmal in Finnsnes

Unser Schiff hatte nur einen kurzen Aufenthalt, gerade lang genug für einen Spaziergang. Viel gibt es hier auch nicht zu sehen. Die Seemannsstatue mit Blick auf die Senjabrücke das war es auch schon.
Auf unseren weiteren Weg durch den Gissund und später dem Straumsfjord frischte der Wind kräftig auf, so dass der Aufenthalt auf dem Außendeck sehr unangenehm wurde. Zudem begann es noch zu regnen. Die gepuderten Berge links und rechts konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Winter noch keinen richtigen Einzug gehalten hatte.

Eine Bartrobbe im Polaria

Bei unserer Ankunft gleicht Tromsø einem wahren Lichtermeer. Die E8 zur rechten Hand ließ sich mit einer riesigen Lichterkette vergleichen, während die Stadt auf der Insel auch mit einem beleuchteten Weihnachtsbaum mithalten konnte.
Inzwischen hatte ich mir auch einen Abfolgeplan zurechtgelegt. So führte mich mein erster Weg zum Polaria, durch die am Nachmittag bereits von Dunkelheit umhüllten Straßen Tromsøs.
Das Gebäude, in dem das Seeaquarium untergebracht ist, wirkt schon von Fjordseite sehr futuristisch. Wenn man von der Hauptstraße kommt sehen die einzelnen Elemente tatsächlich aus wie überdimensionale umgekippte Dominosteine. Links daneben, wie im gläsernen Sarg, ruht die Polarstjerne, ein ehemaliges Polarforschungsschiff und heute Museum das aber nur in den Sommermonaten zu besichtigen ist.

Wie in einem Sarkophag ruht die Polarstjernen neben dem Polaria
 
Der Rundgang im Aquarium beginnt mit einer Filmvorführung. Thema Spitzbergen. Aufgenommen aus der Luft mit fünf Kameras. Die Wiedergabe erfolgt über eine 180° Panoramaleinwand. Die Bilder sind beeindruckend und von jeglichem Ballast eines Kommentars befreit. So kann man sich voll und ganz auf das Visuelle konzentrieren.
Danach geht es weiter, durch eine nachgestellte Winterlandschaft, wie sie auf Spitzbergen in der Permafrostzone zu finden ist. Man hat sich viel Mühe gegeben um die akustischen Eindrücke nachzustellen und selbst eine kleine Schneekanone fehlt nicht, um einen Schneesturm zu simulieren. Dennoch wirkt alles übertrieben künstlich, allein schon durch den wenig sparsamen Einsatz von Plastikeisbergen. Das Ganze wirkt einfach nur kitschig. Die Aquarien mit verschiedenen Fischarten aus der Region beeindrucken vielleicht noch die Kinder.


Weihnachtsstimmung in der Einkaufsstraße von Tromsø

In einem großen Bassin leben vier Bartrobben, die nur auf Spitzbergen vorkommen. Den Zuschauern wird eine kleine Darbietung gezeigt, die nicht als Touristenattraktion verstanden werden will. Vielmehr dienen diese kleinen Spielchen der psychischen Stabilisierung der Tiere. Immerhin haben die anwesenden Kinder ihre Freude daran.
Ich verließ daraufhin das Seeaquarium und bummelte durch die weihnachtlich beleuchteten Straßen mit ihren Lichterketten und den vielen roten Herzen. Vorbei an der evangelischen Kirche, die zu den ältesten Holzkirchen im Nordland zählt. Ein Einblick ins Innere der Kirche bleibt mir verwährt. Die Türen sind verschlossen, wohl aber sind die Stimmen eines Mädchenchors zu hören.



Die Eismeerkathedrale, von hinten bietet sie den schönsten Anblick

Ich gehe weiter zur Tromsøbrücke welche die Stadtinsel mit dem Festland verbindet. Die Überquerung der Brücke kommt einem kleinen Abenteuer gleich. Der Fußweg besteht aus angeschraubten Eisenplatten, die mit einer Art Teerpappe überzogen sind. Manche dieser Platten sind lose und geben unter den Schritten nach. Fahren größere Fahrzeuge über die einzelnen Verbindungsstücke wird der Eindruck noch verstärkt und man spürt zudem die Wankbewegungen der Brücke.
Der Ausblick auf die Eismeerkathedrale, der Seilbahn auf dem Fjellheisen und der hell erleuchteten Stadt machen diese kleinen Widrigkeiten schnell vergessen.

Das Amundson Museum am Hafen

Die Eismeerkathedrale glänzt wie ein abgesprengter Eisberg im kalten Neonlicht. Sie wirkt in jedem Fall beeindruckender als in den Sommermonaten. Das große bunte Glasmosaik auf der Rückseite kommt besonders gut zur Geltung wenn die Kirche von innen erleuchtet ist. Innen herrscht dagegen große Nüchternheit. Das kalte Neonlicht und die hohen, weiß gekälkten Betonwände ersticken jede besinnliche Stimmung im Keim. Auch das Glasmosaik hinter dem Altar verkommt zu einem grauen Etwas mit schwer wahrnehmbaren schwarzen Konturen. Doch dieser Eindruck herrscht nur in den Wintertagen, wenn kein Sonnenlicht durch die bunten Glasflächen dringen kann.
Die Orgel, die sich auf einen Balkon über den Andenken Shop befindet ähnelt einem stilisierten, unter Segel fahrenden Schiff. Egal ob Sommer oder Winter, Regen oder Sonnenschein, wer in Tromsø Station macht sollte sich die Eismeerkathedrale nicht entgehen lassen. Schließlich zählen nicht der rissige Beton oder die schäbigen Wellbleche an der Außenfassade. Sie sprechen nur von der Unvollkommenheit der Menschen. Wer das Gotteshaus als Gesamtwerk betrachtet, der entdeckt auch seine Schönheit.

Noch einmal die Eismeerkathedrale, diesmal vom Schiffsdeck aus betrachtet


Anschließend nahm ich denselben Weg zurück und wandte mich dem Hafen zu. Vorbei am Amundsonhaus und dem Polarmuseum. Drei der vier Stunden Liegezeit waren verstrichen. Und ich habe nicht weniger gesehen als jene, die sich für die Busrundfahrt entschieden haben.
Vom Deck aus versuchte ich noch einige Eindrücke, der in Dunkelheit gehüllten Stadt einzufangen. Die Bilder werden aber nur Stückwerk des Lichtermeeres wiedergeben.

Norwegen 2006 - Eine Winterreise mit der Hurtigrute - 5 Tag Teil 2 - Das Leuchten im Raffsund

Das Leuchten im Raffsund

Während wir im Hafen von Stamsund festmachen genießen wir, die kleine Gruppe von Touristen, gerade das wohlschmeckende Dinner.
Auch Svolvær hatte für mich nichts Neues zu bieten, dachte ich.


Ganz schwach zeigen sich erste grüne Schlieren

Auf den Ort traf das auch zu, doch wie stand es mit der Natur ringsherum? Ein sternklarer Himmel lag über uns. Das Sternbild des Orion stand scheinbar senkrecht über dem Meer. Der große Wagen, der Polarstern und die unzähligen anderen Sterne erweckten den Eindruck von glitzernden Diamanten auf nachtblauem Samt, die vom fast vollen Mond angestrahlt wurden. Das weiße Licht verzauberte die Landschaft mit Schattenspiel. Gefangen von diesen Bildern wäre mir beinahe ein viel schöneres Schauspiel entgangen.
Direkt über der Stadt tauchten kaum wahrnehmbare grünliche Schleier am Himmel auf. Waren das die Polarlichter?


Der Marktplatz von Svolvær

„Ach was, das sind nur Schleierwolken“, sagte mein Decknachbar. Leichte Unsicherheit wollte Besitz von mir ergreifen, doch mein Gefühl richtig zu liegen siegte. Das waren keine Wolken, da passierte etwas am Nachthimmel.
Runter in die Kabine, Kamera und Stativ geholt und Enttäuschung. Die zartgrünen Schleier waren verschwunden, was blieb war ein großes Fragezeichen in meinen Gedanken.
Um 22:00 Uhr legten wir ab. Ich nahm mir vor noch fünf Minuten an Deck zu bleiben, um das Lichtermeer der Stadt zu bewundern. Danach wollte ich mich in meiner Koje in süße Träume flüchten. Doch erstens kommt es anders ..., ihr wisst schon. 

Über den Bergen des Raffsunds erscheint das grüne Leuchten

Stormolla gehören, grüne, kaum wahrnehmbare Schlieren auf. Es wirkte wie ein grüner Regenbogen, der sich von einem Berg zum anderen spannte.    
Lange hielt der Zustand nicht an, dafür flammte der Himmel nun wieder direkt über der Stadt im grünen Licht auf. Die wenigen Mitreisenden an Deck schienen den Atem angehalten zu haben. Kein Wort, nur lautes Schweigen und staunen. Mir erging es nicht anders. Wobei ich mich fragte, warum gerade jetzt. Ich meine jetzt, wo das Schiff wieder in Bewegung ist und Fotoaufnahmen wegen der langen Belichtungszeit verschwommen wirken? Nach wenigen Minuten nahm unser Schiff Kurs auf den Raffsund. Svolvær lag nun direkt am Heck des Schiffes und von dort nahmen die Polarlichter ihren Weg. Ein beinahe unglaubliches, wenn nicht mit eigenen Augen gesehenes Naturschauspiel nahm seinen Lauf und entlockte den Betrachtern das ein oder andere „Ah“ oder „Oh“, oder einfach nur den Ausruf: „Geil, phänomenal“, und ich schließe mich da keineswegs aus.

Ein Großteil des Himmels ist von Polarlichtern überzogen

Unentwegt veränderten die Lichterscheinungen Gestalt und Aussehen, wobei sich die Farben oft nur um Nuancen veränderten. Das Spektrum reichte von gelbgrün bis lindgrün oder geringfügig dunkler.
Oft erinnerten die Erscheinungen an den Schweif eines Tieres und mir fiel die Geschichte über den Polarfuchs wieder ein. Sie wurde in Andenes zum Thema Borelis Aurora erzählt und besagt, dass die Lichterscheinungen durch den Schweif des Fuchses hervorgerufen werden. Nachdem ich diesem Schauspiel nun beiwohnen durfte konnte ich nachvollziehen wie diese Legende entstanden ist.


Dieses Naturwunder nimmt jeden gefangen

Längst durchfuhren wir den Raffsund und das Leuchten und wabern am Himmel wollte kein Ende nehmen. Im Gegenteil, es schien so als wäre das bisherige nur ein kleines Vorspiel gewesen. Der Hauptakt fand nun hier im Raffsund statt. Große Teile des nachtschwarzen und sternenübersäten Himmels waren von den wild tanzenden und wabernden Lichtern bedeckt. Die Natur griff tief in ihre Zauberkiste, um uns Menschen und kleinen Wesen zu beeindrucken, was ihr ohne Zweifel auch gelang. Beinahe ehrfürchtig bestaunten wir ihr Können, vergaßen dabei die schneidende Kälte und versuchten das Unfassbare in Bildern festzuhalten, mitzunehmen. Ein kläglicher Versuch diese Großartigkeit in dieser Form  festzuhalten, die später in erstarrter Weise nur einen Bruchteil dessen wiederzugeben vermag, was sich tatsächlich in den Augenblicken abgespielt hat.
Immer neue Bilder entstehen

Auch meine Worte können dem nicht gerecht werden. Und das was meine Sinne wahrgenommen haben lässt sich nicht in Worte fassen. Du musst es selbst erlebt haben, um zu verstehen warum jeder Versuch einer Beschreibung scheitern muss.
Erst nachdem sich die Minuten zu mehr als zwei Stunden aneinandergereiht hatten, der leere Akku jeden weiteren Versuch, die Unfassbarkeit einzufangen, unterband, nahm ich meine Umgebung langsam wieder wahr. Ich spürte den eisigen Fahrtwind, aber nicht meine ungeschützten Hände die abwechselnd das Aluminiumstativ festgehalten hatten. Ich ignoriere den eisigen Schmerz in den Knöcheln und danke im Stillen für das Erlebnis des Unbeschreiblichen.