Samstag, 7. März 2009

Norwegen 2002 - Mein Norwegen Tagebuch - 12. – Teil 1 - Inarisee (Finnland) im Regen

Inarisee (Finnland) im Regen

Der Brite stellte sich als Ben Nimmo vor. Zufällig hatten wir am gleichen Tag unsere Reise begonnen. Während ich von zu Hause losgefahren bin, war er mit dem Flugzeug und dem Bus zum Nordkap gereist. Dort oben am nördlichsten Punkt Europas sollte seine schier unglaubliche Reise beginnen. Eine Reise, die ihn irgendwann einmal bis zum südlichsten Zipfel Siziliens führen sollte. Nun, auf den ersten Blick erschien das nicht sonderlich verwegen. Erst wenn man erfährt, dass er diese gewaltige Strecke zu Fuß und mit rund zwanzig Kilo Gepäck bewältigen wollte, kommt man ins Grübeln. Eine Strecke, von mehr als 5000 Kilometer!
Ich gab mich nicht einfach damit zufrieden, dass er das machen wollte, ich fragte nach dem Warum, nach dem Sinn für ihn.
Er erzählte mir, eines seiner Ziele auf dieser Reise durch Europa war, mit den Menschen in den Ländern zu sprechen. Hören wie sie denken, über sich und ihr Leben und wie sie über andere Europäer denken. Und natürlich faszinierte ihn dieses Europa in seiner jetzigen Form, mit durchlässigen Grenzen nach Osten.
Okay, aber damit war immer noch nicht geklärt warum ein Mensch solche Strapazen auf sich nahm. Auch darauf gab es eine Antwort. Vor einiger Zeit hatte er ein ähnliches Unterfangen durchgeführt, dabei ging es darum auf seinen Weg Geld für einen guten Zweck zu erlaufen. Die Kontakte zu den vielen Menschen auf dieser Tour hatten ihn begeistert. Später hatte er darüber ein Buch verfasst, welches recht erfolgreich wurde. Auch über diesen Trip wollte er ein Buch schreiben, seine Erlebnisse mit den Menschen in Europa einem breiten Publikum näher bringen.
Als ich ihm schließlich sagte, dass ich ebenfalls schreibe und auch schon ein Buch heraus gebracht habe, war er an der Reihe erstaunt zu sein.
So saßen wir auf dem Campingplatz in einem Lovvú, hatten ein Feuer aus Birkenholz entfacht, welches seinen eigenen angenehmen Duft verbreitete und unterhielten uns angeregt. Durch das Feuer angelockt, kamen nach und nach mehr Menschen in das große Zelt, setzten sich zu uns und lauschten unserer Unterhaltung ohne sie zu verstehen.

Ein Teil der finnischen Seenplatte nördlich von Ivalo

Das Birkenholz verbreitete eine angenehme Wärme und Ben stellte unter Beweis wie sehr er dieses Europa liebte. Mit dem Zeltplatzverwalter oder Besitzer, der uns zwischenzeitlich gute Ratschläge zwecks des Feuers gab, sprach er norwegisch. Selbst in Finnisch konnte er sich unterhalten, auch schwedisch, und deutsch, stellten ihn vor keine Probleme. Er dachte nicht nur europäisch, er sprach auch so. Und ich bedauerte es einmal mehr keine Sprache, außer meiner eigenen, ausreichend gut beherrschen zu können, denn ich sah wie viel näher man den Menschen in seinem Urlaubsland durch die Sprache kommen konnte.
So beneidete ich Ben auch ein wenig um seine Fähigkeiten aber deswegen glaubte ich auch, dass er seine Mission erfüllen konnte.

Aufgescheuchte Rentiere

Am Ende des Abends tauschten wir unsere Internetadressen aus und so hoffe ich irgendwann einmal etwas von ihm zu hören, zu erfahren wo er gerade war und wie es ihm geht. Ich hege eine gewisse Hochachtung vor solchen Menschen und es bleibt jedem selbst überlassen diese Menschen als Verrückte abzutun oder sie dafür zu bewundern. Die Geschichte hat oft genug bewiesen, das solche „Verrückten“ später als große Helden gefeiert wurden. Ich denke da nur gerade an Thor Heyerdahl, einem Norweger, der mit dem berühmten Papyrusboot über den indischen Ozean geschippert war um zu beweisen, dass Südamerikaner und Indianer durchaus von Indern abstammen können. Das Ganze war in den fünfziger Jahren geschehen.
Kurz bevor wir uns entgültig verabschiedeten, spielte er noch ein wenig auf seiner großen Blockflöte. Ein ruhiges melancholisches Stück. Zwar etwas holprig und verkehrt aber trotzdem gut zu der Stimmung passend.
Mein weiterer Eindruck von ihm war sehr positiv. Er hat eine sehr höfliche und zurückhaltende Art an sich, die man so eigentlich gar nicht mehr findet. Früher hätte man vielleicht gesagt: „Typisch britischer Gentleman.“ Es ist einfach schön, dass es solche Menschen noch gibt.

Flucht quer über die Straße

Als ich mich heute Morgen auf den Weg nach Kirkenes machte, traf ich Ben noch einmal auf dem Weg zur finnischen Grenze. Ich hielt noch mal kurz an, wünschte ihm viel Glück, Erfolg und vor allem Gesundheit auf seinem langen Weg durch Europa. Ich glaube mich nicht getäuscht zu haben wenn ich sage, dass er die Worte dankbar entgegen genommen hat. Ich glaube er spürte, dass sie ehrlich gemeint waren und vom Herzen kamen.
Dazu muss ich noch sagen, dass ich selten so schnell Vertrauen zu einem fremden Menschen gefasst habe, gehöre ich doch eher zu den vorsichtigen, manchmal sogar skeptischen Menschen in dieser Beziehung.
Eine Stunde später war mir dann auch klar was er damit gemeint hatte, als er sagte: „Dieser Teil durch Finnland bis Rovaniemi wird der Härteste der Reise.“

Jungtier im Schutz der Felsen

Am Vortag hatte er noch Proviant für vier Tage eingekauft. Während dieser Zeit würde er auf seiner Wanderung auf kein einziges Haus treffen! Nichts als Wildnis! Etwas später dachte ich dann, nur gut dass sein Weg in Richtung Süden weitergeht, Hier in Richtung Norden setzte sich diese Einöde fort. Zweihundert Kilometer und nur zwei einsame Ansiedlungen. Es gab mehr Hinweisschilder auf die großen Seen, an denen ich vorbeifuhr, als solche auf Ortschaften. Wobei der Inarisee der größte und auch bekannteste See auf dieser Route sein dürfte. Eigentlich sollte diese Strecke mir einige Eindrücke von Finnland vermitteln, auch wollte ich einige Bilder vom Inari und vielleicht auch von Ivalo, der Stadt am Inari machen, doch daraus wurde nichts. Gleich hinter der finnischen Grenze begann es zu regnen und alles lag unter einer verwaschenen grauen Dunst- und Wolkenschicht. So begleitete mich der Regen den ganzen Tag und die Hoffnung, ich könnte doch noch was von Finnland sehen schwand mit jedem Kilometer. Ein See nach dem anderen zog wie ein graues Tuch an mir vorbei. Landschaften, die im Sonnenlicht sicher einiges zu bieten hatten, bei der grauen Tristesse jedoch allen Reiz verloren.
Keine Bilder, keine Ortschaften und somit auch keine Tankstellen, das war ein anderes Problem, was sich zeigte. Eigentlich hatte ich hier in Finnland, wegen des günstigen Preises tanken wollen, doch wo wenn keine Gelegenheit? Schließlich hatte ich Ivalo rechts liegen lassen.
Etwa zwanzig Kilometer vor der norwegischen Grenze hielt ich dann doch einmal. Es hatte etwas nachgelassen zu regnen und eine Stelle bot sich für ein Foto an, wenigstens eines von einem den vielen Seen. Ich tauschte das Objektiv der Kamera gegen ein Superweitwinkel um möglichst viel Panorama ablichten zu können, lief eine Schutthalde hoch und ... mir stockte der Atem. Gleich mehrere wilde Rentiere, diese tragen keine Ohrmarken, weideten am Ufer des Sees. Und ausgerechnet jetzt hatte ich die falsche Optik! Natürlich hatten sie mich bemerkt und machten sich davon. Ich schnell ein Bild vom See, wieder runter zum Auto ein Tele aufgesetzt und wieder den Hang hoch.

Gefahren gibt es nur wenige, gemächlich trottet das junge Ren davon

Das Auto stand offen, es regnete wieder heftiger doch das war mir egal. Ich wollte die Gruppe Rentiere ablichten, wo ich doch bisher immer nur Einzeltiere erwischt hatte. Und manchmal werden solche Mühen dann auch belohnt. Sie waren schon ein Stück weit in die entgegengesetzte Richtung gelaufen doch ich bekam sie aufs Bild. Nun waren es ja nicht meine ersten Rentiere trotzdem durchströmte mich eine Art Glücksgefühl, was ja auch irgendwo verständlich ist. Berge, Seen, Blumen, Landschaften können schließlich nicht weglaufen. Wild lebende Tiere hingegen allemal und deswegen ist es schon etwas Besonderes.
Nur zwei, drei Kilometer weiter bekam dieses Glücksgefühl einen weiteren Schub. Gleich neben der Straße auf einer Anhöhe weideten zwei Ricken mit ihren Jungen. Ich fuhr ein Stück vorbei, hielt mitten auf der Straße, Autos fuhren hier eh so gut wie keine, und nahm das große Tele um nicht ganz so nah herangehen zu müssen. So wurden auch diese Szenen eingefangen ehe die Tiere mich richtig bemerkten und davonliefen.
So hatten zumindest die letzten Kilometer in Finnland, trotz des Regens noch eine schöne Erinnerung bei mir hinterlassen. Ja und selbst zu meinem günstigen Benzin bin ich noch gekommen. Genau zwei Kilometer vor der norwegischen Grenze!
Natürlich regnete es unentwegt weiter, die Stimmung erinnerte mich an einen Novembertag. Eine trostlose, kahle Landschaft, im dämmrigen und verwaschenen Grau. Einzig das nasse Laub auf den Straßen fehlte, dann wäre dieser Vergleich perfekt.



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