Samstag, 9. Mai 2009

Norwegen 2002 - Mein Norwegen Tagebuch - 27. Unberechenbare Lofoten

Unberechenbare Lofoten

Es ist unglaublich, was hier innerhalb weniger Stunden alles passieren kann! Gegen ein Uhr in der Frühe war ich noch einmal zum Strand hinunter gegangen, um die Mitternachtssonne zu fotografieren. Vielleicht die letzte Möglichkeit, weil ich dem Polarkreis immer näher kam.
Hier berührte sie schon beinahe wieder den Horizont und hatte einen leicht rötlichen Schimmer, der sich auf dem wellendurchzogenen Meer widerspiegelte. Die Sonne am Horizont, dazwischen das Meer und davor der Sandstrand und die hochgewachsenen Grasbüschel. Ein Bild wie in der Südsee!
Das einzige, das diesen Eindruck trübte war der heftige Wind, der bereits seit dem Abend seinen böigen Atem über die Berge schickte. Dabei hatte der Platzwart noch verkündet, heute werde es keinen Sturm geben. Nun, ich bin vielleicht nicht der bessere Wetterprophet, doch konnte ich mich bisher noch immer auf meinen Instinkt verlassen. Und der sagte mir in diesem Moment, es gab Sturm.

Zentimeterhoch steht das Wasser auf den Straßen (Hamrøy)

Nur drei Stunden später wurde ich in meiner Ahnung bestätigt. Mit dem Atem aus tausend Drachenschlünden ließ er mein Zelt zusammenklappen wie ein Papierhaus. Meine Bemühungen, das Gestänge wieder in Position und damit das Zelt wieder aufzurichten, scheiterten. Der Druck, der auf der Zeltplane lag, war unbeschreiblich. Mit Mühe kroch ich aus dem Zelt und verstauchte mir dabei noch einen Fuß, als das Gestänge vollends nachgab und gegen den Knöchel schlug.
Draußen bot sich mir ein Bild des Grauens. Gab es vor drei Stunden noch kein Wölkchen am Himmel, so türmten sich nun pechschwarze Gewitterwolken hinter den Bergen auf. Manche waren von schwefelgelben Dunsträndern umgeben, die aber schnell zerfaserten weil der Wind die Wolken gnadenlos über die Berge im Nordwesten peitschte.Wirkte das Bild auch bedrohlich, so war ich doch fasziniert davon. Ich starrte staunend wie ein Kind auf die heranrollende Unwetterfront und fragte mich, ob ich den vergangenen Tag nur geträumt hatte.
Stockfischgestell bei Sakriesøy

War meine Fantasie vielleicht einer Vision unterlegen? – Nein, Visionen ließen sich nicht fotografieren. Die tropische Hitze des vergangenen Tages war ebenso real gewesen, wie das herannahende Unwetter. Und das Dagebladet titelte an diesem Tag: „Der heißeste Tag seit über 50 Jahren auf den Lofoten!“ wie ich später lesen konnte. Doch das war gestern.
Plötzlich begann der Berg vor mir laut vernehmlich zu grollen und ich konnte gerade noch sehen, wie er wütend einige Felsbrocken ins Tal schleuderte. Nur gut, dass der Berg etwas entfernt von Straße und Campingplatz steht, so blieben diese von seinem Zorn verschont. Es sollte an diesem Tag nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich den Zorn der Natur miterleben konnte. Schon fünf Minuten später steigerte der Wind noch einmal seine Aktivitäten und schleuderte stehen gelassene Campingtische und Stühle über den Platz. Das war für mich dann auch gleich der letzte Beweis dafür, den Rest der Nacht nicht im Zelt verbringen zu können. Gegen den Wind ankämpfend baute ich es ab und brachte es zumindest noch trocken im Wagen unter.
Blick auf Reine


Danach verbrachte ich noch einige Stunden unbequem auf den Fahrersitz. Gegen acht beschloss ich dann dem Grauen des Tages ins Gesicht zu sehen.
Der Wind atmete wieder gleichmäßig und ruhig, seine Arbeit war vollbracht. Die schwarzen Wolken hatten sich über den gesamten Himmel verteilt, sahen nun schmutzig grau aus und begannen damit wozu sie geschaffen waren. Sie ließen ihre trübsinnige Ladung auf unsere, von Sonne verwöhnten Seelen hernieder regnen.
Menschen, die vor wenigen Stunden noch ausgelassen und heiter in den kalten Fluten tobten, sich an diesen wunderschönen Tag erfreuten, die Gaben des Meeres über offenes Feuer grillten und fröhliche Lieder sangen, sammelten nun zähneknirschend ihr Campinggestühl ein und verkrochen sich gleich darauf in ihre Wohnmobile.
Auch ich startete meinen Wagen und ein traumhaft schöner Sandstrand blieb in seiner Traurigkeit zurück. Vor mir öffnete sich eine undurchdringliche graue Wand. Berge, Fjorde, Wiesen und selbst die Straße waren oft nur schemenhaft zu erahnen.
Eine geplante Radtour nach A Nesland bedurfte keiner weiteren Überlegung. Weitere Nordland Skulpturen auf dem Weg dorthin wirkten so trostlos, dass ich mich weigerte Bilder davon zu machen.
Regen, Regen und kein Ende - Fischerhåtten in Reine


Grau und nass, so lag der Weg vor mir. Brücken tauchten aus dem Grau auf, gerade breit genug für ein Auto und dabei so zerbrechlich wirkend. Und dieser Eindruck war keine Täuschung durch den verregneten Tag. Diese Gebilde waren dem Touristenverkehr nicht mehr gewachsen. Gleich neben den Relikten einer ruhigeren Zeit entstanden neue, kraftstrotzende Gebilde. Sie würden schon in naher Zukunft die kleinen Inseln, wie Hamrøy oder Sakriesøy miteinander verbinden.
Ich hatte also die vierte und letzte Insel der Lofoten, Moskenesøya, erreicht. Auf Sakriesøy sollte Dagmars Puppenmuseum recht interessant sein. Ich verzichtete auf einen Besuch und fuhr weiter nach Reine.
Die Fluten ließen nicht nach. Die Regenjacke schützte mich wohl oben herum, meine Hose durchnässte jedoch so schnell als würde man sich bekleidet in eine Badewanne setzen.
Ungeachtet dessen stampfte ich weiter durch den Regen und das kleine Fischerdorf, dessen Häuser überwiegend auf Stelzen standen. Trotz des Regens bot es schöne Ausblicke und wirkte durch die Bauart wohltuend anders, als die bisher gesehenen.
Nach einer Stunde, und ordentlich durchnässt, ging es weiter. Der nächste Ort Moskenes. Von hier gehen die Fähren nach Bodø ab. So lag es nahe, die morgige Rückreise reservieren zu lassen. Vor Ort erfuhr ich, dass dies nicht möglich sei. Ich war mal wieder um Minuten zu spät gekommen. Der Schalter für Reservierungen schloss bereits um zwölf.
Die Überlegung vielleicht schon heute die Inseln zu verlassen war den Gedanken nicht wert. Am Fährhafen standen bereits Fahrzeuge für die nächsten zwei Touren, die nur alle sieben Stunden abgingen. Ergo würde ich mich in die Schlange einreihen, -und vierundzwanzig Stunden am Fleck ausharren müssen. Schon der Gedanke behagte mir nicht und so verließ ich den Ort nachdem ich mir die hiesige Kirche mit einer Privatführung angesehen hatte. Eigentlich wollte ich nur mal einen Blick hineinwerfen und schon erzählte man mir unaufgefordert die ganze Geschichte. Leider verstand ich nicht allzu viel davon, da der gute Mensch nur ein wenig englisch sprach und die Geschichte überwiegend in seiner Landessprache wiedergab. Nur soviel hatte ich verstanden, die Glocke stammte aus Deutschland und war bereits mehrere hundert Jahre alt.

Berge verhüllt hinter grauen Schleiern - bei Reine

Von Moskenes war es nicht mehr weit bis zum Ende der Inseln und dem Ort mit dem kürzesten Namen Å. Dieses Fischerdorf schien nur aus Museen und Rorbuers (ehemalige Fischerhütten) zu bestehen. In solch einfachen Hütten wohnten die Fischer während der Dorsch (Stockfisch) Saison. Heute waren sie ein wenig komfortabler ausgestattet, ohne dass das Flair des spartanischen dabei verloren gegangen wäre. Die Preise waren dabei aber keineswegs dem Ausstattungsstandard angepasst. Im Gegenteil, sie waren schweineteuer. Aber selbst wenn man, wie ich, bereit war den Preis zu zahlen, an einem Tag wie diesen und dann noch an einem Wochenende, hatte man keine Chance. Wo ich auch fragte, bekam ich zu hören: „Fullt.“ Was so viel wie ausgebucht heißt.
Wenn schon keine Unterkunft dann wenigstens einen Kaffee. Wir hatten Freitag, die Insel würde ich heute nicht mehr verlassen können, also brauchte ich noch Proviant für das Wochenende. Die Museumsbäckerei bot frische Brötchen an. Die Preise schienen antik, inflationär antik!
Dummerweise hatte ich vorher nicht nach dem Preis gefragt und sechs Brötchen bestellt. Als mir dann der Preis genannt wurde, fiel mir die Kinnlade herunter. 60 Kronen oder umgerechnet 8,40 €! Ich konnte nur hoffen, dass mir die Brötchen nicht auch noch sauer aufstießen! – Natürlich war es meine eigene Dummheit. Immerhin tröstete es mich ein wenig, dass ein Teil des Erlöses dem Erhalt des Museums zugute kam. - Danach war mein Bedarf an Å gedeckt. Auf Bilder verzichtete ich, weil es zu stark regnete und ich keine Unterwasserkamera besaß. Ich beschloss nun langsam wieder zurück zu fahren und dabei nach einer Hütte Ausschau zu halten. Irgendwo würde es ja noch eine freie Hütte geben, dachte ich.
Sørvågan, Moskenes, Reine, Hamnøya, wo ich auch fragte, es war alles ausgebucht. Also weiter zurück bis Ramberg, dort wo ich heute Morgen gestartet war. Vierzig Kilometer Anfahrweg bis zum Fährhafen erschienen mir noch erträglich.

und noch einmal Reine

Doch schon der Weg zurück wurde beschwerlicher. Erneut hatte ein Berg im Zorn große Gesteinsmassen Richtung Tal geschleudert. Dort wo heute Morgen noch alles unversehrt war, gab es auf viele Meter plattgewalzte Leitplanken, tiefe Schlaglöcher in der Fahrbahndecke und notdürftig beiseite geräumte Gesteinsbrocken als stumme Zeugen des Geschehens. Die Insel zeigte sich von ihrer dunklen, furchtsamen Seite.
Ich mache es kurz, auch bis Ramberg fand ich keine freie Hütte. Weiter zurück lohnte nicht denn vor mir lag der mautpflichtige Nappstraumentunnel. Wenn ich ihn in nördlicher Richtung durchfuhr, dann konnte ich auch weiter Richtung Norden fahren und die Inseln wieder dort verlassen, wo ich sie vor fünf Tagen betreten hatte.
Dieser Weg würde mir gut fünfhundert Kilometer mehr einbringen. Doch was sollte ich bei diesem Wetter ohne Unterkunft machen? Zelten? Nicht bei dem Unwetter!
Einige Kilometer weiter nördlich war es dann auch nicht mehr so diesig, der Regen ließ jedoch nicht nach. Auf den Straßen stand das Wasser und an den Berghängen waren Wasserfälle entstanden, die zuvor noch nicht vorhanden waren. An vorhandenen Wasserfällen schossen wahre Sturzfluten Richtung Tal. Wenn man ihnen nahe genug kam, konnte man ihr Tosen und Rauschen durch das geschlossene Fenster hören.
Die Lofoten zeigten nun ein ganz anderes Gesicht, eines das man in keinem Reiseführer findet. Nun waren sie nicht mehr die Trauminseln mit ihren kleinen romantischen und bunten Fischerdörfern, die Ruhe und Behaglichkeit ausstrahlten. Die Inseln erschienen wie ein wild gewordenes Tier. Wütend aufbrausend, grollend und stürmisch, so dass selbst Sturmmöwen sich an die Felswände drückten. Nun konnten wir Schönwettertouristen einen Hauch davon erleben, wie es hier im Herbst und im Winter zugehen mochte. Die ganze Bedrohlichkeit, die den Inseln nachgesagt wurde, war nun spürbar, ja allgegenwärtig. Trotzdem, oder gerade deswegen hat mich der Besuch fasziniert. Nun konnte ich auch die Menschen verstehen, die von dieser wilden, ungebändigten Schönheit so begeistert waren.

Kirche von Moskenes

Leider hatte diese Schönheit auch einen Nachteil, sie wird mit jedem Jahr bekannter. Immer mehr Menschen strömen aus allen Teil der Welt hierher um diesen wilden Reiz zu erleben. Und dabei helfen sie dann mit, das Gesicht der Inseln zu verunstalten.
Die Straßen werden breiter, die zerbrechlich wirkenden Hängebrücken müssen ersetzt werden. Hässlicher Beton spannt sich zwischen den kleinen Inseln und krallt sich an ihnen fest. So bei Hamnøya, oder kurz vor Ä, wo dicke Betonfinger in dem Himmel ragen, bereit die neue breitere Fahrbahn aufzunehmen. Auch die Tunnel sind breiter als man es mancherorts auf der E 6 gewöhnt ist.
Bei all dem Fortschritt wunderte es mich nicht, dass der ein oder andere Bewohner schon mal skeptisch oder grimmig zu den Reisebussen und Wohnmobilen schaute. Auch wenn wir Touristen gewissermaßen für einen besseren Lebensstandard auf den Inseln sorgen, so meine ich: Weniger, ist manchmal mehr!


Bei Å - eine verregnete kleine Bucht

Am späten Nachmittag erreiche ich Fiskebøl. Wie in Moskenes und Svolvær lange Autoschlangen am Fähranleger. Einziger Vorteil hier, die Fähren fahren alle halbe Stunde.
Die Wartezeit vertrieb ich mir damit, den Bericht zu schreiben. Anderthalb Stunden oder drei Fähren später war ich dabei.
Auf dem Festland angekommen versuchte ich erneut eine Unterkunft zu bekommen, doch auch hier das gleiche Bild: „fullt!“
Es gibt ja immer Wörter und Unwörter des Jahres. „Fullt“ war in dem Moment für mich das Unwort des Tages.
So blieb mir nichts anderes übrig als bis Sortland zurück zu fahren. Hier nahm ich mir ein Hotelzimmer weil nichts anderes zu bekommen war. Eigentlich wollte ich diese Häuser ja meiden, auch der Kosten wegen, aber inzwischen war es bereits einundzwanzig Uhr und ich verdammt geschafft. Immerhin wurde ich dann doch angenehm überrascht, der Preis lag auf dem Niveau deutscher drei Sterne Hotels. Das Zimmer war ordentlich, mit Bad, Schreibtisch, Telefon und Fernsehgerät. Also kein Grund sich zu beklagen.
So bleibt als Fazit für die Lofoten zweierlei festzuhalten. Fünf Tage sind schlicht viel zu wenig, aber das war mir bereits im Vorhinein bekannt. In der Hauptsaison kann ich nur dazu raten die Fährverbindungen zu- und von den Inseln vorzubuchen (Moskenes – Bodø). Ansonsten ist gerade an Wochenenden mit längeren Wartezeiten zu rechnen.






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