Samstag, 16. Mai 2009

Norwegen 2002 - Mein Norwegen Tagebuch 32. Moschusochsen und andere Rindviecher

Moschusochsen und andere Rindviecher

Nach dieser Nacht wusste ich noch weniger warum dieser Platz so unverschämt teuer war. Der Verkehr, hauptsächlich LKW, hat beinahe die ganze Nacht angehalten. Auch auf der Eisenbahnstrecke fuhr halbstündlich ein Güterzug laut ratternd vorbei. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Lastwagen und Güterzüge donnerten geradewegs durch mein Zelt. Neben dem Lärm gab es weitere Dinge, die den Platz nicht empfehlenswert machten. Der Kinderspielplatz besteht aus zwei lieblos auf gehangenen Schaukeln, um deren Wartung sich anscheinend auch niemand kümmerte. Und auf der Herrentoilette gab es anscheinend Privatkabinen. Zumindest waren die Türen geschlossen und die Türklinke fehlte von außen. Am nächsten Morgen waren die Türklinken merkwürdigerweise wieder vorhanden! Auch wenn es eine zweite Herrentoilette ohne dieses Manko gab, dieser Platz ist einfach nicht zu empfehlen. Freundlichkeit mangelhaft, Sanitäranlagen mangelhaft, Platzlage erst recht mangelhaft. So würde ich den Platz beurteilen wenn ich Kritiker wäre.


Fluss Driva im Dovre- Nationalpark


Um acht Uhr donnerte wieder ein Güterzug durch mein Zelt und ich beschloss den Tag zu beginnen. Wie befürchtet hatte es in der Nacht geregnet, Aussicht auf Sonnenschein gab es nicht, also musste ich das Zelt wieder einmal nass verstauen.
Beim Frühstück fielen mir dann noch weitere negative Punkte auf. Viele Plätze haben überdachte Sitzgelegenheiten, um auch bei schlechterem Wetter draußen sitzen zu können. Hier gab es überhaupt keine Sitzgelegenheiten. Koch- und Spülgelegenheit waren in einer schmalen Nische untergebracht. Die Benutzung der Mikrowelle musste extra und teuer bezahlt werden. Der Eindruck des Abzockens wurde überdeutlich.
Draußen frühstücken war also nicht, so benutzte ich kurzerhand den Fernsehraum. Ist überhaupt nicht aufgefallen, da um diese Zeit eh kein Mensch zu bezahlendes Fernsehen sieht.


Vor Kongsvoll, einer der vielen Wasserfälle

Mein heutiges Ziel lag, durch die verlängerte Fahrt gestern, nur noch hundert Kilometer entfernt. Die Landschaft bis Dombås war für mich viel interessanter, als auf den gestrigen dreihundert Kilometern.
Ich befinde mich bereits in der Hochebene des Dovrefjells. Später wird einer der höchsten Berge Norwegens, der „Snøhetta“ (Schneehut) zu sehen sein.
Links und rechts versteckten sich die baumbewachsenen Berge hinter tiefhängenden Wolken und wabernden Nebelwänden. Zur Rechten strömte mir die Driva entgegen. Ein Fluss, der seinen Ursprung dort hat wo mein heutiges Ziel liegt. Zu Beginn gibt er sich sanft wie ein scheues Reh, hier draußen benimmt er sich wie ein zorniges Kind. Wütet, stampft und bockt. Manchmal verwandelt er sich sogar in eine rasende Bestie, fletscht die Zähne, grollt und zermalmt unter seinen tosenden Wassermassen so manchen Stein.
Unterstützt wird der Fluss dabei von den Wasserfällen, die sich links und rechts in seinen Fluten ergießen.


Talblick vom 1651 m hohen Kolla


Es ist eine wilde und gleichzeitig fantastische Gegend, die nach jeder Kurve neue Perspektiven eröffnet. Leider war es wieder ganz erbärmlich am regnen. Für die Bilder, die ich trotzdem machte, musste ich mir Regenjacke und Hose überstreifen, weil ich sonst binnen weniger Minuten völlig durchnässt gewesen wäre.
Hätte es nicht so stark geregnet, wäre ich wohl den „Vårstigen“ hochgewandert. Alles in allem etwa zehn Kilometer, die mit einem herrlichen Blick über das weite Tal und der wilden Driva belohnt worden wären. Natürlich immer vorausgesetzt, die Wolken hingen nicht so tief wie am heutigen Tag.
Wenig später erreichte ich Kongsvoll. Kurz zuvor überlegte ich einen Augenblick auf eigene Faust in den Nationalpark vorzudringen und die Fährten der Moschusochsen zu suchen. Eigentlich ein überflüssiger Gedanke, das Areal ist viel zu groß. Nein, ich würde mich wieder einer Gruppe anschließen, mit Führung.

Eine Gruppe von Moschusochsen im Dovrefjell


Knuds, unser Scout, war Student mit Fachrichtung Touristik. Er sah noch verdammt jung aus, beinahe milchgesichtig, aber von diesem Äußeren sollte man sich keineswegs täuschen lassen. Er war sehr freundlich und nett, bat gleich darum ihn doch beim Vornamen zu nennen und führte die gemischte Gruppe in Englisch. Zwischendurch sprach er aber auch immer wieder deutsch oder auch norwegisch mit seinen Landsleuten. Ein richtig netter Bursche halt, welchen Mütter sich als Schwiegersohn wünschten und Väter von Töchtern nicht argwöhnten, wenn er sie ausführen wollte.

Die gesamte Gruppe war sehr freundlich. Mit einer niederländischen Familie hatte ich mich beinahe die ganze Zeit unterhalten, wenn dies nicht gerade mit Knuds getan geschah.
Deutschland interessierte ihn, ebenso die Sprache, die er gern noch etwas besser lernen wollte. So erzählte er mir von seinen Besuchen in Deutschland, von den Konzentrationslagern und den Eindrücken, die er dabei gewonnen hatte, und auch von seiner Einstellung dem heutigen Deutschland gegenüber.
Was er gesehen hat fand er bedrückend, sah heute aber auch ein ganz anderes Deutschland und sagte: „Dies Vergangene ist nur eine kurze dunkle Ära in der Geschichte Deutschlands.“
Ich denke, diese Aussage erklärt einmal mehr die Freundlichkeit in diesem Land.
Inzwischen waren wir auf dem Weg ins Gebirge und wie immer standen vor dem Lohn die Mühen. Gestern hatte es, wie gesagt, sehr heftig geregnet und die Spuren waren hier überall deutlich zu sehen. Der Trampelpfad hatte das Wasser aufgenommen und sich an einigen Stellen in einen kleinen Bach verwandelt, der meist leise flüsternd und manchmal auch laut plätschernd ins Tal rann.
Das Wasser unter den Sohlen, bei gutem Schuhwerk, war zu ertragen, das Wasser von oben hielt sich derweil zurück.



Wir bleiben nicht lange unentdeckt - Großer Abstand ist lebenswichtig


Langsam erwärmte sich auch die Luft, der Aufstieg brachte den Körper in Wallung und schon bald entledigte man sich der wasserfesten Jacken. Es folgte ein erster Stopp nach etwa einer halben Stunde. Wir hatten das Grenzgebiet zum Moschusreservat erreicht.
Eine Warntafel klärte vielsprachig über Verhaltensmaßregeln auf und Knuds kam seiner Aufgabe als Scout nach, in dem er etwas über den Moschus erzählte.
Vor über zehntausend Jahren waren die Tiere hier bereits zu Hause. Mit Abklingen der Eiszeit jedoch zogen sie sich mehr und mehr nach Grönland zurück. Die wenigen Tiere, die noch verblieben, wurden ausgerottet. In den zwanziger Jahren startete man dann eine Grönlandexpedition mit dem Ziel, Tiere aus Grönland wieder hier anzusiedeln. Unter widrigsten Umständen gelang dieses Unternehmen dann auch. 31 Tiere erreichten lebend das norwegische Festland. Durch Inzucht und dem zweiten Weltkrieg wurde der Bestand ein weiteres Mal beinahe komplett ausgerottet. Eine zweite Expedition sorgte schließlich für frisches Blut und einem heute beinahe konstanten Bestand von etwa 120 Tieren, hier im Dovre – Nationalpark. Dieser Park bietet geradezu ideale Bedingungen für die Tiere. Ohne natürliche Feinde und dem ganzjährigen Verbot der Jagd. Die Winter, mit bis zu vierzig Grad minus, entsprechen ihrem natürlichen Lebensraum. Selbst die oft tagelangen eisigen Stürme können ihnen nichts anhaben.
Ich kannte diese Ausführungen bereits von meiner ersten Tour und so reichten Knuds Erzählungen in Englisch. Trotzdem war es sehr freundlich von ihm zu fragen, ob ich alles verstanden hätte.
Wir setzten unseren Weg fort, immer weiter bergan, und hatten schon bald die Baumgrenze hinter uns gelassen. Das typische Bild der Hochebene zeigte sich. Überall gab es Moosflechten, einige tief geduckte aber widerstandsfähige Sträucher und wenige niedrig wachsende Blumen. Auch Zwergwachholder und Wollgras war hier anzutreffen.

Alle Aufnahmen mit 600er Spiegelobjektiv


Dennoch reichte ihr Wachstum aus heimtückische Wasser- oder Sumpflöcher zu verdecken. Unser Weg folgte einem ungleichmäßigen Zickzack, um nicht all zu häufig und lange durchs Wasser waten zu müssen.
Ein zweiter Stop stand bei etwa 1200 Meter an. Ein gutes Stück Weg lag hinter uns und es wurde Zeit die Ferngläser hervorzuholen. Nur gut, dass ich mir extra eines zugelegt hatte und dieses nun im Auto auf meine Rückkehr wartete.
Knuds hatte zwei dabei und gab mir, ohne Worte zu machen, eines ab. Sein einziger Kommentar war: „So habe ich etwas weniger zu tragen.“
Tatsächlich sichteten wir dann auch die ersten Tiere. Noch verdammt weit weg. Ein bis anderthalb Kilometer etwa. Nun wurde die weitere Richtung von Standort der Tiere bestimmt. Der Boden war stellenweise sehr morastig und wir versanken bis zu den Knöcheln im Wasser. Hier zeigte sich dann auch der Wert wasserdichter Wanderstiefel. Von außen waren sie nass wie ein Wischlappen, innen waren meine Füße trocken. Da machte es dann auch nichts mehr aus einen Bachlauf von anderthalb Meter Breite zu überqueren.
Der nächste Stop erfolgte nachdem wir gut zwei Stunden unterwegs waren. Wir hatten uns der Gruppe ein ganzes Stück genähert und beschlossen erst einmal eine Pause zu machen. Mein Höhenmeter zeigte 1272 Meter an.
Selbstgemachte Brote, Bananen und Getränke wurden ausgepackt und verzehrt. Man plauderte und erzählte von seinen bisherigen Urlaubserlebnissen und beobachtete dabei weiter die Moschusgruppe.
Eine zweite Wandergruppe zog an uns vorbei und Knuds ahnte das kommende Unglück. Der Wind stand ungünstig, die Tiere konnten uns zu früh wittern, was ihre Blicke in unsere Richtung auch bestätigte. Die andere Gruppe hatte wenig später einen Punkt erreicht von wo man die Tiere wohl gut sehen konnte. Die Tiere gelten als recht scheu und so verhielten sie sich denn auch, sie zogen weiter und verschwanden aus unserem Sichtfeld.
Und dann wurde plötzlich und unverständlicherweise der Entschluss getroffen die Tour abzubrechen. Alle Norweger in der Gruppe waren dafür. Die Niederländer, zwei Schweizer und ich waren dagegen.

Altes Bahnhofsgebäude vor Hjerkinn


Wir machten uns allein auf den Weg nachdem Knuds uns einen Rückweg erklärt und zur Vorsicht ermahnt hatte. Ich schlug vor den Berg noch ein wenig hinauf zu gehen und dann nach Norden einzulenken. Die beiden Schweizer hatten sich schnell abgesetzt, ihr Ziel war wohl der Berggipfel, nicht die Tiere.
Nach einer halben Stunde hatten wir einen Punkt deutlich über den der anderen Touristengruppe erreicht. Die Stelle war jedoch ungünstig weil ein Hügel die Sicht verdeckte. Wir mussten wieder etwas talwärts gehen und dabei gleichzeitig auf den Buckel zuhalten. Vorsicht war dabei geboten, denn die Tiere konnten unmittelbar dahinter weiden. Nicht umsonst wird ein Sicherheitsabstand von gut zweihundert Metern empfohlen. In den letzten zwei Jahren sind zwei Touristen von den Tieren getötet worden. Ich vermute mal Leichtsinn durch Unterschätzung. Ihr träges Verhalten lässt nicht unbedingt vermuten, dass diese Tiere bis zu sechzig Kilometer schnell werden können. Bei etwa fünfhundert Kilo Gewicht kommt da eine ganze Masse zusammen.
Unsere Entscheidung war richtig! Eines der beiden Mädchen entdeckte die Tiere zuerst. Etwa hundertfünfzig Meter von unserem Standpunkt entfernt direkt auf einem Schneefeld. Ich empfahl nicht näher heran zu gehen, da die Tiere uns bereits wieder gewittert hatten.
Die Entfernung war in Ordnung, wenn auch mein größtes Objektiv dafür herhalten musste. Das Schneefeld als Kontrast war ideal und ließ die Tiere richtig zur Geltung kommen.
Für die beiden Mädchen war es dennoch eine Enttäuschung. Mit ihren Kameras war da nicht viel auszurichten. Ich versprach ihnen, ein paar Bilder per e-Mail zu schicken und konnte so einmal mehr auf meine Internetseite verweisen.
Wenig später verzogen sich die Tiere wieder und verschwanden aus unserem Blickfeld. Wir machten uns anschließend auf den Rückweg. Inzwischen war die Sonne herausgekommen und es wurde richtig warm.

Rastplatz wörtlich genommen. Freilaufende Kühe neben der E 6 vor Dombås


Zunächst bewegten wir uns Richtung Süden um auf den Trampelpfad zu kommen. Hier war das Laufen nicht so beschwerlich wie durch das morastige Terrain. Als wir diesen Weg schon beinahe erreicht hatten passierte es. Es galt nur noch diesen einen Felsen zu umrunden, was auch klappte. Dann ging es steil bergab, die Sohlen fanden keinen Halt mehr und ich fand mich auf meinem Hinterteil wieder. An der linken Hand erlitt ich dabei eine ordentliche Prellung, die auch sofort anschwoll. Gebrochen war aber nichts. Es hätte auch schlimmer kommen können, doch mein Rucksack schützte meinen Rücken.
Nach kurzen besorgten Blicken und Fragen meiner Begleiter ging es weiter. Der Trampelpfad ließ sich gut laufen und auf halbem Weg ins Tal trafen wir auch wieder auf die beiden Schweizer.
Danach wurde der Weg wieder schlechter und führte auch steiler hinab. Hinzu kamen Ermüdungserscheinungen in den Beinen und die Tritte wurden nicht mehr ganz so sicher, was in dem Gelände nicht gerade von Vorteil war.
Zuerst war die Jüngere der beiden auf dem Hosenboden gelandet und wenig später auch ihr Vater. Wobei ich den beiden Mädchen ein klein wenig Bewunderung zollte, so wie sie die Mühen tapfer und ohne zu murren wegsteckten. Sie waren ja gerade mal zwischen 10 und 13 Jahre.
Kurz vorher hatte man noch einmal einen wundervollen Ausblick auf das gesamte Tal und ich ärgerte mich schon ein wenig darüber kein passendes Weitwinkel eingepackt zu haben. Aber auf so einer Tour muss man sein Gepäck schon richtig einteilen. Mit anfänglich etwa fünfzehn Kilo hatte ich mehr als genug zu tragen. Essen und Getränke waren aufgezehrt, trotzdem hatte ich immer noch zwölf Kilo zu tragen. Und der Weg wurde zunehmend schlechter.
Trotz aller Widrigkeiten erreichten wir, wohl leicht verdreckt, den Ausgangspunkt unserer Tour. Am Ende lagen zehn bis zwölf Kilometer und beinahe sechs Stunden Wanderung hinter uns.
Auf dem Parkplatz tauschen wir noch unsere Adressen aus, wünschen uns weiterhin schönen Urlaub und gingen unserer Wege.
Ich stärkte mich zunächst in der Berghütte Kongsvoll ehe ich den Rückweg nach Dombås antrat.


Dovregubbenshall vor Dombås


Ein besonderes Bild verlangte meine Aufmerksamkeit. Es war keine Landschaft sondern ein Rastplatz, der seinem Namen eine besondere Bedeutung gab. Neben Reisenden, Einheimischen und einem LKW-Fahrer, die hier verschnauften und zugleich den schönen Ausblick genossen, hatten sich hier auch acht Kühe, wohl gesättigt und wiederkäuend in der warmen Spätnachmittagssonne niedergelassen. Ein wahrhaft idyllisches und beinahe unglaubliches Bild. So unglaublich, wie ich denke, dass ich für diese Aufnahme einen ganz besonderen Rahmen schaffen musste. Der große Lastwagen auf dem Parkplatz war der eine Teil des Rahmens, den Moment einer gut befahrenen E 6 abwartend und dann auslösen, bildete den anderen Teil des Rahmens, und mittig im Bild die Grünfläche mit den Kühen.
Nur so ist zu beweisen, dass die Tiere, selbst wenn sie Nutztiere sind, ihre Freiheit haben. Eine viertel Stunde später war ich auf dem Campingplatz und gönnte mir zuerst eine warme Dusche. Anschließend gab ich mich daran im Liegestuhl meine Erlebnisse nieder zu schreiben, auch wenn ich hier und da von Regentropfen unterbrochen wurde.








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