Samstag, 16. Mai 2009

Norwegen 2002 - Mein Norwegen Tagebuch 30. + 31. Lange Wege (Teil 1 + 2)

Lange Wege

Es wurde langsam Zeit für mich die Schritte nach Süden zu vergrößern. Den südlichen Teil der Küstenstraße hatte ich bereits vor zwei Jahren befahren. Grund genug jetzt darauf zu verzichten. Mit der Fähre von Nesna nach Levang und dann weiter über die RV 78 nach Mosjøen und hier wiederum auf die E 6, die mich dann etwas schneller voranbrachte. Erst bei Grong verließ ich die E 6 wieder, folgte der RV 760 um nach wenigen Kilometern wieder auf die RV 17 zu gelangen.
Am frühen Abend erreichte ich den Campingplatz bei Namsos erreicht. Während der letzten Stunde konnte ich dann auch sehen, wie sich das Wetter veränderte. Beinahe unmerklich näherten sich weißgraue Wolken aus Süden, die wenig später ihre Fracht abließen. Es war ein ruhiger, sanfter Regen von kurzer Dauer. Ich nutzte die Zeit um einen kleinen Rundgang über den Platz zu machen. Das habe ich eigentlich überall gemacht, um mir einen kleinen Überblick zu verschaffen. Schließlich sollte man die Plätze nicht nur nach den Sanitäranlagen beurteilen!
Nach allem was ich hier gesehen hatte, zählte dieser Platz wohl zu den Besten. Ruhig gelegen obwohl nur einen Steinwurf vom Flughafen entfernt. Bisher war nicht eine Maschine gelandet noch gestartet. Gepflegte Rasenflächen zum Zelten und asphaltierte Flächen für Wohnwagen und Mobile mit Grünflächen davor, das war mir bisher noch nicht aufgefallen. Hütten gab es hier auch zu mieten. Sie machten von außen einen ordentlichen Eindruck. Die größeren wiesen sogar Fernsehantennen aus, auch das war eher die Ausnahme. Und natürlich durfte der Kinderspielplatz nicht fehlen. Ein Badestrand, das Wasser fällt nur ganz seicht ab, und ein riesiger Rettungsring zum Toben war ebenfalls vorhanden. Sogar einen kleinen Streichelzoo mit drei Ziegen gab es hier. Ein kleines Paradies für Familien mit Kindern. Denn trotz des leichten Regens tummelten sich die Kinder im Wasser und hatten ihre helle Freude. Erwachsene spielten Federball oder Minigolf, oder gingen einfach nur, wie ich, spazieren. Wen störte da schon der leichte Regen, es war Urlaubszeit!

Landschaft wie im Schwarzwald, bei Blankheia

Schon waren die Nächte des ewigen Lichtes vorbei. Es gab wieder Dämmerung, nicht nur hervorgerufen durch Regenwolken. Der Himmel färbte sich wieder dunkelblau, noch nicht nachtschwarz, aber auch nicht mehr azurblau.
Das Licht in den Nächten war nun künstlich, kalt und neonfarben. Und plötzlich verlangte der Körper wieder nach Schlaf, rief nach seinen gewohnten Geflogenheiten. Dinge, die im ewigen Licht des Nordens in Vergessenheit geraten waren. Schlaf? – Ja, man hatte sich hingelegt ohne dabei besonders auf die Uhr zu schauen und war auch nicht verwundert wenn des Körpers Verlangen nach Schlaf schon nach drei Stunden gesättigt war. Trotzdem gab es die üblichen Erscheinungen von Schlafmangel nicht. Vierundzwanzig Stunden taghell machten kurzzeitig einen anderen Menschen aus dir. Man blühte auf wie eine Blume und saugte sich am ewigen Licht fest, welches alles verwandelte. Blumenteppiche erblühten allerorts in üppiger Pracht, Tiere aller Gattungen vermehrten sich und zeigten stolz ihren Nachwuchs, und wir Menschen lebten auf, waren fröhlich und heiter, ohne die Beklommenheit einer herannahenden dunklen Nacht.


Kirche in Børsa

Als mir diese Stimmung gestern Abend bewusst wurde, erschrak ich ein wenig. Die nahende Dunkelheit zeigte mir mit aller Deutlichkeit, dass mein ganz persönlicher Traum unweigerlich dem Ende entgegen ging. Es war sozusagen das letzte Zeichen, meine Gewissheit wurde bestätigt. Schon bald gehörte alles Erlebte der Vergangenheit an, schon bald würde ich wieder meiner gewohnten Beschäftigung nachgehen und in alte Gewohnheiten verfallen. Worte und Bilder würden dann meine Erinnerungen sein. Nichtssagende Momentaufnahmen, die meine Gefühle in diesen Augenblicken nicht widerspiegeln konnten.
Sicher, sechs Wochen waren eine lange Zeit. Es gibt nicht viele Menschen, die sich so lange Träume erfüllen können. Ich weiß auch, dass ich von einigen beneidet, und von vielen vermisst werde. Meine Freunde und Verwandten werden froh sein wenn ich wieder in ihrer Nähe bin, dass weiß ich aus den Telefongesprächen. Ich werde in ihren Kreis zurückkehren.
Für immer alles zurücklassen, nach Norwegen fahren und für immer hier leben. Die langen Tage des Sommers genießen und in den langen Nächten des Winters ausharren, mit der Gewissheit, die Helligkeit kehrt zurück. Manchmal ist dieser Traum so nahe, dass es nur noch eines Schrittes bedarf um ihn wirklich zu leben.


Ehemaliges Herrenhaus, heute Hotel in Orkanger

Gleich heute früh bin ich nach Namsos gefahren, der Campingplatz lag etwas außerhalb, um in der bekannten Felsenschwimmhalle ein paar Bahnen zu ziehen. Die Felsenschwimmhalle hatte ich bereits bei meinen früheren Reiseberichten erwähnt.
Seinerzeit war es die größte wettkampffähige Felsenhalle Europas. Das gesamte Bad inklusive Fitnesscenter ist in einen Berg hinein gebaut worden. In der Halle selbst sieht man noch teilweise das rohe Gestein, wobei dies zur Sicherheit mit einer dünnen Betonschicht überzogen worden ist.
Ist manchmal gar nicht verkehrt den Tag mit etwas Sport zu beginnen. So bin ich heute tausend Meter geschwommen, gemütlich, zwischendurch ein wenig im Whirlpool relaxt und auch noch Zeit gefunden mit einigen Reisenden aus der Nähe meiner alten Heimat zu plaudern.
Was mir dann auch aufgefallen war, im Gegensatz zu vor zwei Jahren gibt es hier auffällig viele deutsche Besucher. Bei meinem ersten Besuch war ich als Deutscher noch die Ausnahme.
Aus zwei Stunden waren schnell drei Stunden geworden, so dass ich mich erst gegen ein Uhr auf dem Weg machte.

Alte Steinkirche in Orkdal bei Orkanger

Die Strecke an sich bot nichts Außergewöhnliches. Ich mied die E 6 und nahm ein paar Nebenstraßen obwohl mein Ziel, Wegstrecke überbrücken, hieß.
Natürlich war die Landschaft auch hier reizvoll. Ganz anders als im Norden, mit üppiger Vegetation. Wohin man sieht grünt es in allen Tönen. Fast reife Kornfelder, riesige Heuwiesen und die schon vielfach erwähnten bunt gesäumten Straßenränder. Die Berge und Hügel zeigten sich von sanfter Erscheinung und bis zum Gipfel mit Kiefern, Fichten und Birken, oft im Mix bewachsen.
In den Tälern, auf weiten Weiden grasen Kühe, Pferde oder Schafe, oft durchzieht ein Bach- oder kleiner Flusslauf die grüne Landschaft oder aber ein Fjordarm taucht tief ins grüne Land ein. Hier an der Westküste ist Wasser das bestimmende Element. Befindet sich gerade mal kein Fjord in der Nähe, könnte diese Landschaft durchaus auch im Schwarzwald wieder zu finden sein. Selbst die Höfe an den Berghängen unterstrichen in ihrer Bauweise diesen Eindruck. Instinktiv erwartet man jeden Moment ein Hinweisschild mit der Aufschrift „Gasthof Schwarzwaldstube“ oder „Souvenirs, handgefertigte Kuckucksuhren“.


Kirche in Follafoss

Einen ganz besonderen Touch bekam die Landschaft bei Blankheia. An der Hauptstraße befindet sich ein kleiner Lebensmittelladen. Sein Äußeres wirkt schmucklos, die Farbe blättert bereits ab, die besseren Zeiten schienen schon einige Jahre zurück zu liegen. Neben dem Laden steht ein alter VW Käfer in grau und ein kleiner Wohnwagen mindestens ebenso alt wie das Auto. Alles zusammen ergab ein Bild, wie aus den sechziger Jahren. Auch die Holzbrücke ein paar Meter weiter unten, über den kleinen Fluss, bekräftigte diesen Eindruck noch. Hier schien die Zeit tatsächlich stehen geblieben zu sein.
Der andere Teil, der den Reiz dieser Landschaft ausmacht sind die vielen kleinen Kirchen in den, oft verträumt wirkenden, Orten. Nicht ihr Prunk oder ihre pompöses Erscheinungsbild fallen auf, genau das Gegenteil davon. Sie gefallen durch ihre Schlichtheit. Klein fast unscheinbar und mancherorts sogar ohne Turm. Wäre an diesen Gebäuden nicht ein Kreuz auf der Stirnwand, könnte man sie auch für eine Lagerhalle halten.
Ich habe nicht gezählt wie viele Kirchen mir auf diesem Streckenabschnitt begegnet sind, einen Film hätte ich sicherlich füllen können. Ich beschränkte mich auf einige wenige. Viele ähnelten sich zudem in ihrer Bauweise.

Eisenbahn- und Industriemuseum in Løkken

Eine besonders schöne Kirche war mir in Follafoss aufgefallen, diese konnte ich dann auch gleich richtig in Szene setzen. Sie war nicht, wie üblich, weiß oder rot gestrichen, sie war schwarz, nur die Trägerbalken hatte man naturfarben belassen. Der Turm war nicht mehr als eine Andeutung auf dem Kirchenschiff. Auf dem Vorplatz wuchsen zwei riesige Tannen, die dem Bild den geeigneten Rahmen verliehen. Links und rechts die Bäume und genau in der Mitte die kleine Kirche mit Eingangsportal und dem erwähnten kleinen Turm. Das Bild gibt wieder, wie klein die Kirchen hier häufig sind. So sind die Bäume dem Himmel näher als das Gotteshaus!
Wenig später erreichte ich den Trondheimfjord. Der Sturm, der auf dem Weg dorthin einsetzte, hatte nicht nachgelassen und peitschte die Oberfläche des Wassers. Selbst die große Fähre, die mich auf die andere Seite brachte, blieb nicht gelassen und schaukelte hin und her. Nichts bedrohliches, aber heftig genug die eine oder andere Alarmanlage der Fahrzeuge in Gang zu setzen. Mit dem Wind kamen erneut Wolken. Ein Blick ins „Dagensbladet“, die Wettervorhersage ließ nicht gerade Hochgefühle aufkommen. Überwiegend Regen und das an den Tagen, an denen ich meine letzten größeren Aktivitäten geplant hatte.

Alle großen Stücke stehen unter freiem Himmel

In Orkanger erledigte ich rasch noch ein paar Einkäufe. Der Weg bis hierher war schon recht abenteuerlich. Die Straße „klebt“ an den Felswänden. Felsbrocken wölben sich wie Portale weit über die Fahrbahn und rechts fällt es steil ab, um unten im Fjord zu enden. Den Reiz dieses Abschnittes hatte wohl auch ein findiger Kommunalpolitiker erkannt. Spätestens zur nächsten Saison wird der Streckenabschnitt zwischen Børsa und Orkanger, am Orkdalfjord, dann mautpflichtig sein.
In Orkanger bekam ich endlich auch etwas Warmes zu essen. Diesmal, völlig stillos, entschied ich mich für Pizza, die preislich überraschend günstig aber trotzdem sehr gut war. Von hier war es auch nicht weit bis Orkdal. Dort steht eine reizvolle Kirche, zur Abwechslung mal aus Stein gefertigt.
Inzwischen war es achtzehn Uhr. Eigentlich kein Problem, mein geplantes Nachtlager lag noch vierzig Kilometer entfernt.


Kirche von Berkåk

Auf dem Weg dorthin kommt man an einem „Løkkenverk“ vorbei. Wer hinter diesem Begriff jetzt vielleicht eine Perückenfabrik vermutet, der ist leider falsch gewickelt!
Es handelt sich um ein ehemaliges Eisenbahnwerk. Heute ist es Industriemuseum mit Schwerpunkt Eisenbahn. Den Besuch ersparte ich mir, obwohl bis zwanzig Uhr geöffnet war. Zudem standen die besten Stücke draußen.
Wenig später kam der Campingplatz, oder das was davon übrig war. Ein abgedecktes Schild mit dem Hinweis, „no Camping“.
Zu meiner „Verwunderung“ hatte es auch noch zu regnen angefangen.
Also zum nächsten Platz. Auf dem Weg dorthin fotografierte ich eine weitere Kirche bei Berkak. Vielleicht hätte ich dort beten gehen sollen, denn von dem, in der Karte eingetragenen, Platz war nichts zu finden. In Gedanken sah ich mich schon bis Dombås fahren, das Ziel, das ich morgen Mittag zu erreichen gedachte. Die Vorstellung behagte mir allerdings überhaupt nicht, denn ich war schon ziemlich müde.
Oppdal war er nächste größere Ort. Campingplatz ja, aber nicht für Zelte. Immerhin bekam ich hier eine freundliche Auskunft über den nächstgelegenen Platz. Dieser befand sich eine norwegischen Meile entfernt. Zum ersten Mal hörte ich, dass dieser Begriff tatsächlich noch verwendet wurde. Ich wusste jedoch was eine norwegische Meile war, umgerechnet zehn Kilometer. Mit diesem Wissen wiederum konnte ich die junge Frau an der Rezeption in leichtes Erstaunen versetzen und erntete dafür ein Lächeln.
Als ich den Platz erreichte und bezahlen sollte, verging mir allerdings das Lachen. Unverschämte einundzwanzig Euro für einen mittelmäßigen Platz direkt an der E 6 mit zusätzlichem Zugverkehr, waren des Guten zuviel. Zudem schien mir der Preis auch noch willkürlich gewählt und wenn ich nicht so müde gewesen wäre, hätte ich meinen Weg fortgesetzt. Nun denn, abhaken und vergessen.





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