Samstag, 4. April 2009

Norwegen 2002 - Mein Norwegen Tagebuch - 21. Andenes und Whalewatching

Graue Tage

Die Berge hüllen sich in graues Schweigen,
die Luft feucht wie Fjord und Meer.
Keine Nebelkrähe, keine Möwe mag sich zeigen
Und doch fliegen sie, wie graue Irrwische, im Nebel umher.

Blumen und Gräser, regentropfenschwer,
neigen sich noch tiefer ’gen Boden.
Eh schon klein, werden sie kleiner nunmehr,
so, als werden sie von feuchter Erde aufgesogen.

Selbst der Wind schweigt unter der grauen Last,
bewegt keinen Grashalm und kein Blatt,
obwohl er, an der Küste, doch oft voller Hast
die Wellen peitscht und durchwühlt das Watt.

Stille herrscht, die erdrückend scheint,
das Leben und Blühen lässt sich nur erahnen.
Selbst das Krächzen der Krähen schweigt,
wenn der Himmel weint.
Mittsommersonne,
verscheuche den Dunst mit feurigen Armen!

So will ich hinausrufen in das nasse Grau,
will das Schreien der Möwen
und das Lachen der Kinder hören.
Nur dann weiß ich ganz genau,
graue Tage in Norwegen können mich nicht wirklich stören.

Andenes in Wolken gehüllt

Teil 1 - Andenes

In der Nacht begannen die Farben wieder zu leuchten, glänzten im noch feuchten Erwachen. Langsam wurde der graue Mantel von unsichtbarer Hand zurückgezogen. Hügel und Berge entblößten sich und zeigten ihre wahre Gestalt. Mal schroffe, spitzgezackte Bergkronen, mal sanfte Kuppeln dessen Felsgrau mit einem Hauch von Grün durchzogen war.
Auf der anderen Seite lag das Meer, wild und ungezähmt auch wenn es sich im Augenblick kaum kräuselte. Die gesamte Küste war umsäumt von kleinen Inseln, den Schären, die wie Smaragde an der Wasseroberfläche glänzten. Manche gut sichtbar, andere heimtückisch, nur zu erahnen und trotzdem von eigenartiger Schönheit. Kein Mensch kann sich ihnen gefahrlos nähern, ihre Boote würden an den Klippen unter der Wasseroberfläche zerschellen. So sind die Schären ein Paradies für Seemöwen, Tordalk, Trottellummen und Papageientaucher.
Es war zwei Uhr in der Frühe als ich dieses Bild des langsamen Erwachens in mir aufnahm.
Später am Morgen wurde ich durch zaghafte Sonnenstrahlen, welche durch das kleine Fenster lugten, geweckt. Der Dunst war völlig verschwunden, Wind war aufgekommen und drückte die Wolken nach Südwesten, wobei ein Teil von ihnen die Reise gar nicht erst antrat. Sie lösten sich unter der Kraft der Sonne einfach auf.
Ich wagte es nicht auszusprechen, aber mir schien, der Ruf in meinem gestrigen Gedicht war irgendwo erhört worden.


Wolken verschleiern die schroffen Berge

Auch wenn es sehr frisch war und das Thermometer kaum mehr als zehn Grad auf der Skala anzeigte, so war es mir doch recht. Wieder einmal schien mir das Wetter wohlgesonnen, blieb nur zu hoffen, dass auch die Wale es gut mit mir meinten, dann sollte der Tag einen herrlichen Verlauf nehmen.

Schäreninseln vor Bleik


Am frühen Mittag fuhr ich nach Andenes und besuchte dort zunächst das „Hisnakul“ Museum. Es befasst sich mit den atmosphärischen Phänomenen und versucht diese zu erklären. Das alles wirkte durch gezielte Lichteffekte ein wenig mystisch, aber durchaus interessant. Man bekommt eine Mappe gereicht, in der die Wandbilder erklärt werden. Selbstverständlich fehlte in diesem Museum auch nicht das Phänomen „Borealis Aurora“, oder bekannter unter dem Namen Polarlichter. Neben einigen Glasmalereien mit entsprechenden Szenen und dazugehörigen Geschichten, wie jene vom Polarfuchs aus dessen Schweif eben diese Lichterscheinungen entstanden sein sollten, gab es auch eine sehr schöne Diashow. Die Bilder der Lichterscheinungen waren ausschließlich auf Andøya entstanden. Einzigartige und wunderschöne Bilder. In einem konnte man zum Beispiel einen Engel mit ausgebreiteten Flügeln erkennen. Die Haltung war dabei so als würde er sich rücklings fallen lassen. Gesicht und Flügel waren dabei sehr gut ausgeprägt. Passend zu dieser Erscheinung war denn auch die Farbe, die sich fast weiß zeigte. Andere Lichterscheinungen waren lindgrün, pastellrot, violett oder in einem verwaschenen Gelb.
Der Wunsch, diese Himmelserscheinungen selbst einmal zu erleben, erwachte in mir. Irgendwann werde ich einmal im Winter hierher kommen und das Ganze dann gleich mit einer Schwertwal Safari verbinden. Ich erwähnte es bereits, dass die Orcas im Spätherbst bis in die Fjorde der Westküste kommen.

Hisnakul - Museum für atmosphärische Phänomene

Nach einer Stunde war der Besuch beendet. Es gab noch andere Museen, die man hätte besuchen können, nur wurde ich bei dem ein oder anderen den Verdacht nicht los, hier sollte mit aller Macht Geld gemacht werden. Zum Beispiel ein sogenanntes Polarmuseum, dessen Hab und Gut in einer einfachen Doppelgarage untergebracht war. Auch konnte der Leuchtturm erklommen werden, um einen Ausblick auf Andenes und die Küste zu nehmen. Ich sparte mir dieses, die Sicht wurde zunehmend schlechter. Bevor es richtig anfing zu regnen machte ich noch einen kleinen Rundgang durch den Ort. Schaute durch die kleinen Straßen, bewunderte an einer Garagenwand eine Bildszene mit lachenden Orcas und springenden Delfinen und entdeckte dabei wieder eines der Naturphänomene, das mich in den letzten Tagen häufiger zum Fotoapparat greifen ließ. Eine riesige weiße Wolke, die sich vom Grau des übrigen Himmels abhob, hatte sich wie eine Pudelmütze über einen markanten Berg gestülpt. Der rundliche Bergrücken war völlig eingehüllt, der seitliche und schroffere Teil des Berges war dabei noch zu sehen. Ich fand das Bild einfach herrlich und kam ganz nebenbei zu dem Schluss, dass auch schlechtes Wetter schöne Bilder zaubern konnte.
Gerade noch rechtzeitig kehrte ich zum Auto zurück. Die Schleusen öffneten sich wieder. Binnen weniger Minuten hatten sich große Pfützen gebildet. Der Regen zeigte sich von ausdauernder Ergiebigkeit.
In Gedanken sah ich mich schon in meinem Zelt sitzen und mit einem Paddel in der Hand versuchend, ein trockenes Plätzchen zu erreichen. Schnell wischte ich den Gedanken fort und ein anderer machte sich breit. Sollte ich bei dem „Sauwetter“, denn was anderes war es nicht, wirklich die Walsafari antreten? Was wollte ich mir denn noch alles antun?


Wandskulptur - Vogelschnäbel


Teil 2 - Walsafari

Gegen vierzehn Uhr sollte ich zur Anmeldung kommen um meine Buchung zu bestätigen. Ich schaute aus der Frontscheibe und ließ die Zeit verstreichen. Bis fünfzehn Uhr war meine Vorreservierung gültig. Ich blieb im Auto und starrte auf die graue Ungemütlichkeit. Ein neuer Gedanke machte sich breit. Was, wenn ich die Walsafari platzen ließ? Zurück zum Zelt oder vorzeitig das nächste Reiseziel ansteuern? Hundert Kilometer weiter südlich war das Wetter auch nicht besser als hier. Nein, das war nicht die Lösung und nach zwanzig Minuten zog ich mit einem gewissen Trotz meine Goretex-Jacke an und stampfte durch den strömenden Regen zur Anmeldung. Ich wollte diese Tour machen und ich wusste vorher was unter Umständen auf mich zukommen konnte, also musste ich da jetzt durch. Es war schon erstaunlich was man alles im Kauf nahm wenn man im Urlaub war. Zu Hause hätte ich wohl überhaupt keinen Gedanken daran verschwendet hinaus zu gehen. Und bei mindestens der Hälfte der Menschen, die mit hinaus wollten, verhielt es sich wohl ähnlich.
Trotz des miesen Wetters hatten sich gut zwei Drittel, der am Vortag angemeldeten Personen, auch eingefunden. Auf der Hinweistafel wurde die Tour als ausgebucht geführt.


Kreuzfahrtschiff am Kontinentalsockel

Den Einführungsteil mit Museum kannte ich bereits. Neu an dem Rundgang war dann auch ein komplett erhaltenes und etwa zwanzig Meter langes Skelett eines Pottwals. Hier wurde die Anatomie eines solchen Tieres erklärt. Und wer es immer noch nicht wissen sollte, Wale sind Säugetiere! Vor etwa 60 Millionen Jahren zählten sie zu den Huftieren. Schafe, Rinder oder Pferde sind so gesehen ihre direkten Artverwandten. An den Seitenflossen (Flipper genannt), war dies gut zu sehen. Sie sahen aus wie eine überdimensionale Hand mit entsprechenden Gliedern. Von den Hinterläufen hingegen waren nur noch zwei kümmerliche Knochen übrig geblieben, die ohne jede Verbindung zur Wirbelsäule im Körper ruhten.
Die Fluke (Schwanzflosse) ist knochenlos und somit beim Skelett nicht vorhanden. Und im Gegensatz zu Fischen, steht bei Walen die Schwanzflosse waagerecht. Weitere Säugetiermerkmale, sie gebären Kälber, legen also keine Eier und sind auf das Luft holen an der Oberfläche angewiesen.

Rücken eines Pottwals

Nach dem erklärenden Rundgang gab es zur Einstimmung noch eine Diashow, die gleichzeitig auch Lust auf mehr machen sollte. Hier wurden auch Bilder von Schwertwalen gezeigt, die um diese Jahreszeit noch nicht zu sehen sind.
Um siebzehn Uhr war es dann soweit. Gnädigerweise hatte der Regen nachgelassen als wir an Bord des ehemaligen Walfängers gingen. Die Luft hatte sich bis auf zwölf Grad „erwärmt“ und der Wind schwieg wieder. Das Meer lag ruhig im grauen Licht des trüben Tages, Leinen los und raus zum Kontinentalsockel, dort wo das Meer schlagartig von etwa dreihundert auf tausend Meter Tiefe abfällt. Eine Stunde brauchten wir bis dorthin, von Andenes aus. Aufgrund dieser geologischen Gegebenheit ist die Walsafari von hier auch so lukrativ, weil eine lange Anfahrt zum Sockel entfällt.


Der Moment des Abtauchens

Wir hatten diesen magischen Punkt noch nicht einmal ganz erreicht, als sich der erste Wal bereits zeigte. Leider blieb mir der Blick auf das Tier verwährt, weil sich Menschen mit viel Rücksicht und Ellenbogenarbeit ihren eigenen Logenplatz schafften. Dass meine Kamera dabei nicht über Bord ging, verdankte ich nur dem Umstand, sie trotz eines Vierhunderters, um den Hals gehängt zu haben. Schade, dass manche Menschen sich so verhalten, zumal genügend Platz vorhanden war. Um nicht noch mal mit diesem Unhold zu kollidieren wechselte ich den Platz. Und genau in diesem Moment wurde der zweite Wal gesichtet. Dieser musste schon länger da gewesen sein, denn auch er tauchte unmittelbar danach ab. Wieder nichts gesehen! Doch ich gab die Hoffnung noch nicht auf. Nun hieß es einfach Geduld haben. Wale tauchen immer wieder im gleichen Gebiet auf und bleiben nicht länger als zwanzig bis dreißig Minuten unter Wasser.

Senkrecht stößt der Pottwal in die Tiefe

Das Fischerboot dümpelte im Leerlauf, drehte ein paar Schleifen und alles starrte triefnass auf das graue und trist erscheinende Wasser. Wo würde das erste „Blas“ (Wasserfontäne durch ausatmen) zu sehen sein?
Kaum waren die zwanzig Minuten verstrichen kam die Sichtung. Verdammt weit weg. Kurs genommen, aber irgendwie ahnte ich, den packen wir nicht rechtzeitig. Hier spielte natürlich auch ein wenig die Erfahrung von der letzten Tour mit.
Das Nächste was dann auftauchte war ein verdammt dicker Pott, aber ohne Wal. Ein Kreuzfahrtschiff, man vermutete die MS Europa, aber sicher war sich niemand. Ich machte zwei Bilder, wenn schon keine Wale, dann wenigstens dieses Dickschiff.

Nur noch Augenblicke dann ist er abgetaucht

Gut zwei Stunden dümpelten wir dahin, als plötzlich, knapp dreihundert Meter vor uns, ein Pottwal auftauchte. Kurz die Motoren angelassen und schon waren wir direkt neben ihm. Der Bursche war die Ruhe selbst und wohl auch schon erfahren genug. Die Crew schätzte ihn auf etwa neunzehn Meter Länge. Immer wieder, wenn er sich gut vom Wasser abhob, drückte ich auf den Auslöser. Gut fünf Minuten ließ er sich mit dem Abtauchen, dem touristischen Höhepunkt einer solchen Safari, Zeit. Ich hatte die Kamera noch mal gecheckt, noch genügend Bilder vorhanden, also nicht wieder so ein Missgeschick wie vor zwei Jahren, als im großen Moment der Film voll war.

Der letzte Augenblick

Und dann spannte sich der Körper von der Rückenflosse an, das untrügliche Zeichen des bevorstehenden Abtauchens. Beinahe grazil kam die Fluke aus dem Wasser und ich drückte erneut auf den Auslöser. Klick, klick, klick, immer wieder. In diesem Augenblick zählte ich nicht mit wie oft. Neben mir staunte eine deutsche Touristin und meinte: „Sie fotografieren ja wie mit einem Maschinengewehr.“
Der Wal war abgetaucht, das große Finale erlebt, die Tour erfolgreich. So sah es auch die Crew, die nun die Rücktour und die Ausgabe von heißer Suppe bekannt gab.
Das Erste, was ich mir dachte während ich meine Kamera trocknete und verstaute, war, für diese Bilder hatte sich das alles schon gelohnt. Vergessen waren die nasse Kleidung, die von Sprühregen triefende Nase und die, wie nach einer Schneeballschlacht, rot gefrorenen Finger. Die Suppe wärmte mich von innen auf und im Auto hatte ich genügend trockene Kleidung, also alles halb so schlimm.
Während der Rückfahrt wurde ein wenig gefachsimpelt, die Crew zeigte anhand einer Karte noch einmal die Sichtungen und alle waren zufrieden. Am späten Abend kehrten wir müde und zufrieden nach Andøya zurück.








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