Samstag, 20. März 2010

Norwegen 2005 - Zu Land und Wasser - 19. Ist da ein Licht?

Ist da ein Licht?

Unglaublich wie viel Wasser in einer Nacht vom Himmel fallen kann. Die Schotterwege hatten sich in kleine Seenlandschaften verwandelt. Einmal mehr stellte sich die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Wetterprognosen. Seit Tagen versprachen sie besseres, trockenes Wetter. An diesem Morgen verkündete das „Dagebladet“ gar auf der ersten Seite: „Jetzt kommt der Sommer!“ Draußen war es dunkelgrau und die dicken Wassertropfen fielen schwer in die tausend kleinen Pfützen vor meinem Fenster.

Sandnessjøen - Nordlandskulptur Vindenes Hus (Windhaus)

Mir fielen Ninas Worte wieder ein: "Es regnet seit zwölf Tagen ununterbrochen." Zu der Zeit fuhr ich gerade auf der Hurtigrute und wenig später auch an Nesna vorbei. Das war die Zeit des Regens, der bis heute kein Ende gefunden hatte.
Nach der ersten Fährüberfahrt war es nicht mehr weit bis Sandnessjøen. Musste ich vor drei Jahren noch Maut für die Helgelandsbru bezahlen, so konnte ich heute miterleben wie die Mauthäuschen abgebaut wurden.
Am Ende der Brücke ist eine weitere Nordlandskulptur das „Vindenes Hus“ zu finden. Schöpfer ist Sisel Tølaasavs aus Norwegen. Für meinen Geschmack muss ich sagen, es gibt bedeutend ansprechendere Skulpturen. Unübertroffen, für mich, das „Forgotten Town“ oder „der Kopf“ in Eggum, Lofoten.


Wenn schon nicht in Natura ...

Direkt vor Sandnessjøen ist mir dann der Elch begegnet, nachdem zahlreiche Schilder immer wieder davor warnen, dass Elche auf die Straße springen. Der hier war jedoch ganz anders. Er stand auf einen Hügel und schaute geradewegs über mich hinweg. Ich war ihm völlig gleichgültig und er rührte sich nicht vom Fleck. Wie auch, seine Beine, wie auch der Körper, waren aus Bronze und auf einen Betonsockel geschraubt.
Etwas weiter begegneten mir die sieben Schwestern (Syv Søstre), sie hüllten sich in Schweigen und einen dicken Mantel aus Wolken.

Petter Dass Kirche in Alstahaug

In Alsthaug machte ich einen Abstecher zur Petter Dass Kirche. Der Dichterpfarrer lebte hier von 1689 bis zu seinem Tod im Jahre 1707. Beeindruckend sind insbesondere der Altar und eine alte Truhe mit reichen Verzierungen. Auf dem Gelände ist auch ein Museum untergebracht, es befindet sich im ehemaligen Wohnhaus des Pfarrers. Leider gab es überhaupt keine Infobroschüren zu der Kirche und zu einer Führung war hier auch niemand bereit. Allerdings gab es teure Bücher über die Geschichte des Petter Dass.
Wer die Fahrpläne der Fähren kennt, sie sind im Handbuch Kystigsveien RV 17 zu finden, und noch Zeit findet kann kurz vor Tjøtta einen Abstecher zur Steinkirche machen. In meinem Fall war sie verschlossen, aber auch der Gedenkstein davor ist interessant. Er erinnert an einen Oyfind Finssen, mit den Jahreszahlen 911 – 925.

Der Altar

Die Überfahrt nach Forvika gestaltet sich trocken und am Horizont war so etwas wie Licht zu sehen. Sollte der langersehnte und längst überfällige Sommer nun kommen?
Mein nächstes Ziel hieß Brønnøysund. Dabei interessierte mich der Ort selbst weniger. Ich wollte zum Torgatten. Das liegt zwölf Kilometer außerhalb, ist aber schon weithin sichtbar.
Auf der Fahrt mit der Hurtigrute war ja nicht besonders viel davon zu sehen. Wenn es auch nichts mit einer Mitternachtssonne am Torgatten werden sollte, so wollte ich es mir doch wenigstens aus der Nähe ansehen. Das große Loch, das der Sage nach vom Hestemannen mit einem Pfeil aus seinen Bogen in den Berg geschossen worden sein soll. Zu dieser Zeit war der Berg jedoch gar keiner. Es war der Hut eines Trolls. Der stolze Reiter verliebte sich in den Troll und vergaß dabei die aufgehende Sonne. So erstarrten beide zu Stein. Noch heute ist der versteinerte Reiter gut zu erkennen, im Berg Hestmannøy.


Petter Dass Kirche, Merkmal Zwiebelturm

Ob nun wahr oder nicht, ich wollte dort hinauf. Vom Parkplatz führt ein Weg zum Ziel. Etwa zwanzig Minuten soll es dauern, vermutlich unter normalen Umständen. Das ein oder andere Mal hatte ich ja schon erwähnt, dass ich weder ein guter Kletterer, noch schwindelfrei bin. Trotzdem packt mich in solchen Situationen immer wieder mein Ehrgeiz. Vielleicht ist auch der Übermut, wer weiß.
Der erste Teil des Weges ist als normal begehbar zu bezeichnen. Dann folgt eine natürliche Steintreppe, die sicher auch keine Probleme bereit hält, vorausgesetzt es hat nicht tagelang geregnet. Überall strömten kleine Bäche, die sich an der Steintreppe vereinten und einen kleinen Wasserfall zauberten.

Fjordpferde in Alstahaug

Die Menschen sind bekanntlich erfinderisch und wissen sich zu helfen, wie ein kleiner Trampelpfad zeigte. Nicht wirklich gut gemacht, da sehr morastig und dazu direkt an einem Abgrund entlang. Wohl nur zehn Meter tief, aber auf die Höhe kommt es ja nicht an. Erste Bedenken machten sich breit, aber da war ja noch der Ehrgeiz. Etwa so wie bei Engelchen und Teufelchen: „Tu es nicht, du weißt das dir das Klettern nicht liegt.“ – „Hör nicht drauf, das schafft doch jedes Kleinkind!“ Und so weiter. Meine Gedanken hielten Zwiesprache und ich kraxelte auf allen Vieren. Danach folgte wieder ein Stück befestigter Schotterweg und schließlich eine Geröllhalde, in der wiederum Naturtreppen zu finden waren. Eigentlich nichts kompliziertes, wenn man es nicht selber dazu macht. Warum wollte ich auch ausgerechnet ein zartes blaues Blümchen vor ein kleines Rinnsal fotografieren. Nicht genug, dass ich schon halb in der Pfütze lag, um die richtige Perspektive zu finden. Nein, kaum hatte ich das Motiv auf dem Chip verewigt und war halbwegs zufrieden, machte ich einen Schritt, mitten hinein in den Schlamassel. Der rechte Schuh fand nur ungenügenden Halt auf dem nassen Gestein, aber ich musste ja schon den zweiten Schritt machen, ehe der erste vollendet war, und mit dem linken Fuß direkt hinein in ein zwanzig Zentimeter tiefes Wasserloch.

Rathaus in Bronnøysund

Wie gut, dass ich für den Spaziergang Halbschuhe gewählt hatte, so sparte ich mir das Füße waschen. Auf meinen weiteren Weg nach oben schmatzte es deutlich hörbar, an den Zehen wuchsen kleine Frostbeulen, aber mein Ehrgeiz hatte sich mal wieder durchgesetzt.
Auf dem letzten Stück hatte mich noch eine norwegische Familie überholt. Sie unterhielten sich und das Mädchen sagte so etwas Ähnliches wie, Greenhorn, worauf alle lachten. Nun, mein norwegisch ist nicht so gut, das ich behaupten könnte alles zu verstehen, aber sollte sich das auf mich bezogen haben, so kann ich das im Fall von Bergsteigen nicht einmal widerlegen.

Blick durch das Torgatten

Egal, ich hatte es geschafft und andere auch noch zum Lachen gebracht, was will man mehr. Das Loch gibt den Blick auf ein Meer voller Schären frei. Aber nicht allein das wirkt so faszinierend, es ist das Licht auf der anderen Seite des Loches. Dort schien doch allen Ernst die Sonne von einem Himmel mit weißen Wolken. Auf Landseite war noch immer alles Grau und so hatte ich das Gefühl durch das Loch in eine andere Welt zu schauen.
Hinunter bin ich auch wieder gekommen, diesmal ohne in irgendwelche versteckten Wasserlöcher zu tapsen. Was die Zeit angeht, wird wohl jede Großmutter den Weg schneller bewältigen. Aber was soll’s, ich bin doch im Urlaub und nicht auf der Flucht, oder?


Aussicht vom Torgatten

Dennoch kann dieser Eindruck manchmal entstehen, wenn die Autokarawanen von Fähre zu Fähre hetzen. Da fällt es schwer den gemütlichen Fahrstil beizubehalten. Das einzige was dann hilft ist, irgendwo abzuzweigen um sich etwas anzusehen. In Vik hatte ich mich aus so einer Kolonne geschlichen und war zur Kirche gefahren. Das kleine Museum nebenan hatte bereits geschlossen, so wurde es nur ein kurzer Aufenthalt, der trotzdem Folgen hatte. Ich erreichte Vennesund gerade noch rechtzeitig, um der abfahrenden Fähre hinterher winken zu können.
Schön, dass hier wenigstens ein kleines Gasthaus zu finden ist, das Kaffee und Kuchen für die Gäste bereit hält. Mir stand eher der Sinn nach etwas herzhaftem, sowie dem frisch gebratenen und duftenden Lachs, der für eine kleine Gesellschaft bereitet worden war. Und tatsächlich durfte ich, gegen ein kleines Entgelt, an dem Mahl teilnehmen. Das nenne ich Gastfreundschaft.


Kirche in Vik (RV 17)

Nach dem Essen blieb noch etwas Zeit für einen Spaziergang und wenn sich dann auch noch ein Hinweis auf eine Nordland- Skulptur findet, folge ich diesem. Ob dieses Werk tatsächlich zu der Reihe gehört möchte ich mal in Zweifel stellen. Wobei die versteckte Platzierung wiederum dafür spricht. So lief ich ein zweites Mal Gefahr mir ein paar Schuhe zu ruinieren. Nur um einen mickrigen Plastikdelfin am Fjordufer zu finden.
Immerhin erhaschte ich auf dem Rückweg ein Eichhorn, nur hatte ich leider die falsche Optik dabei. Für die weiteren Relikte, die am Wegesrand zu finden waren, reichte sie jedoch allemal. Und wer über Norwegen schreibt darf eben nicht nur die Hochglanzseiten zeigen, der muss auch schon mal in die dunklen Ecken leuchten. Hier, zwischen Bäumen, ein Ablageplatz für alte LKW- Reifen und verrostete Rohre, und ein Stück weiter gammelte ein ausgedienter Toyota- Bus vor sich hin. Das alles direkt an einem Campingplatz neben einem Wanderweg. Das ist ein Teil Norwegens, den ich nirgends auf der Welt so vorfinden möchte.

Wilder Schrottplatz in Vennesund

Die letzte Fähre für diesen und einige weitere Tage, danach war noch ein Stück zu fahren. Ein kleiner, gemütlicher Campingplatz, direkt an einem Fluss bei Rosendal war genau das richtige Fleckchen um den Abend ausklingen zu lassen. Es war kalt aber trocken und ich setzte mich unter den Birkenbäumen an einen kleinen Tisch und begann diese Zeilen zu schreiben.
Um die Frage, die diese Geschichte betitelt, zu beantworten, muss ich zwar etwas waghalsig vorgreifen, dennoch will ich behaupten: „Ja, da ist ein Licht!“










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