Samstag, 6. März 2010

Norwegen 2005 - Zu Land und Wasser - 15. Tag – Rainy day

Rainy day

Um fünf Uhr in der Frühe wurde ich geweckt. Die warmen Strahlen der aufgehenden Sonne drangen ungehindert durch das Zelt. Es schien ein wunderschöner Tag werden zu wollen. Doch so früh wollte ich den Tag nun auch wieder nicht beginnen, also drehte ich mich noch einmal um.
Als ich gegen acht Uhr mein Ruhelager verließ hatten die Wolken eine allzu übermütige Sonne in ihre Schranken verwiesen. Nun, solange es trocken blieb sollte es mir recht sein, doch der Wettergott hatte bereits andere Pläne.
Während ich den Tisch im Freien deckte begann es leicht zu tröpfeln. Es blieb bei ein paar Wassertropfen und von denen ließ ich mich nun wirklich nicht von meinem Platz unter freiem Himmel vertreiben. In aller Ruhe genoss ich mein Frühstück ohne dabei nass zu werden.

Wasserfall Skarsdalen, hinter Birtavarre

Nach dem Frühstück begab ich mich auf die vor mir liegende, gut 380 km lange Etappe. Gleich hinter der Baustelle am Campingplatz rauscht ein Wasserfall neben der Straße herunter. Sein Wasser wird unter der Straße abgeleitet wo es sich mit dem Fjord vereinigt. Kaum 200 Meter davor ist ein weiterer Fall zu bewundern. Wie lange das noch möglich ist lässt sich am Fortschreiten des Tunnelbaus ablesen. Die letzten Urlauber dieser Saison werden bereits durch den Berg und hinter den Wasserfällen geleitet, so wie es bereits drei Kilometer weiter geschieht. Der neue Skorsdalentunnel ist bereits befahrbar. Aber das sollte nun wirklich niemanden davon abbringen, diese Strecke einmal zu befahren. Auf meinen Weg nach Skibotn begegneten mir an die fünfundzwanzig Wasserfälle. Jeder einzelne sehenswert und einzigartig.

Hundeschlittenskulptur in Skibotn

Und während Garth Brooks den Countrysong "She's every woman" sang, kam mir ein etwas holpriger Vergleich. Der Song erzählt von der Liebe zu einem jungen Mädchen. Und mir fiel der Vergleich von jungem Blut und wild rauschendem Wasser in den Sinn. Beides bedeutet Leben und mag es im hohen Norden auch oft einsam wirken, da wo das Wasser fließt, da ist auch Leben.
Während der Fahrt rauschte nicht nur das Wasser diverser Fälle, der Regen flüsterte sein leises, monotones Lied in einem unbestimmten Takt. Inzwischen hatte auch die Musik gewechselt und Patricia Kaas hauchte ihr ... out of the rain. Irgendwie schien alles zusammen zu passen.
In Skibotn trommelten die Regentropfen wütend auf das Autodach. Eine Skulptur mit Schlittenhunden und Musher ist das einzige was mir an diesem verregneten Morgen in dem kleinen Ort auffällt.

Hattfjellet am Storfjord

Am Ende des Lyngenfjords, der sich dann Storfjord nennt steht eine kleine Kirche. Ich legte eine kleine Pause ein, und ging vom Parkplatz die zweihundert Meter. Stille umgibt mich, die Straßen glänzen matt im grauen Tageslicht. Nur ganz vereinzelt bilden sich kleine Kreise in den Pfützen, die Himmelschleusen hatten sich vorübergehend geschlossen und die Berge rings umher hatten sich wieder einen Schal aus Wolken umgelegt. Ich erinnerte mich daran, dass es hier vor drei Jahren ähnlich aussah.
Wenig später versank die Landschaft zwischen Nordkjosbotn und Sørreisa im dichten Dunst. Das einzige was aus dem Dunst aufragt ist die Kirche von Sørreisa. Ihr Kirchturm ragt wie ein erhobener Zeigfinger gen Himmel.

Graffiti mal anders, Bushaltestelle bei Heia

Die Regentropfen klangen nun nach Traurigkeit und der fehlende Verkehr kündete von Einsamkeit. Normalerweise kann mich so etwas mental nicht beeinflussen. Doch wenn du von Ort zu Ort fährst und keine Menschenseele zu sehen bekommst, kann die Stimmung dich doch schon mal gefangen nehmen. Ich wechselte die Musik und ließ mich von Genesis aus der Lethargie reißen.
Auf dem Weg nach Sjøvegan, ich hatte inzwischen auf die RV 84 gewechselt, änderte sich die Melodie der Wassertropfen. Die Stakkatos klangen zornig und die Gummis meiner Wischerblätter kamen kaum nach die Wassermassen von den Scheiben zu wischen.


Kirche von Sorreisa

Kurz bevor ich den Ort erreichte erblickte ich ein Motiv auf dem Sagfjord, etwas das gegen Einsamkeit spricht. Ein einfaches Motorboot mit einem Fischer allein auf dem Fjord. Nur Wasser und Stille umgeben ihn. Das ist ein Bild der Einsamkeit, werdet ihr sagen, also ein Widerspruch. – Nein, kein Widerspruch. Für den Fischer mag es Zufriedenheit sein, sich in dieser Stille aufhalten zu dürfen. Für mich ein Zeichen, dass sich die Farben nur hinter dem Grau verborgen haben. Sie sind längst nicht verblasst, vielleicht schöpfen sie nur neue Kraft. Oder aber der Fischer war mir ein Zeichen, genau dort und nicht an anderer Stelle zu halten. Gerade als ich mich umdrehen wollte hob er eine Hand zum Gruß und im selben Augenblick sah ich etwas äußerst seltenes. Unterhalb der Straße, am Ufer des Fjordes sah ich ein Austernfischerpaar mit seinem Nachwuchs. Selten deswegen, weil die Tiere sehr wachsam und nur schwer mit der Kamera einzufangen sind. Ohne große Hoffnung, die Tiere noch vorzufinden wenn ich das richtige Objektiv aufgesetzt hatte, ging ich zum Wagen um entsprechendes zu holen. Als ich zurückkehrte bemerkte mich einer der beiden erwachsenen Vögel und begann laut zu schimpfen, während das zweite Tier nach Leckerbissen für den Nachwuchs im flachen Wasser suchte. Im Schutz der Leitplanke gelangen mir einige Aufnahmen. Nach zwanzig Minuten lief mir das Wasser aus den Haaren und doch war ich zufrieden. Wer weiß ob sich so eine Gelegenheit noch einmal bietet. Ein letzter Blick aufs Wasser, doch das kleine Boot war verschwunden.

Austernfischer am Sagfjord

Bevor ich über einige Serpentinen nach Gratangsbotn hinunter fahre genieße ich den fast nicht vorhandenen Ausblick auf den gleichnamigen Fjord. Die Wolken klammerten sich links und rechts an den Bergen fest und schienen geradewegs über dem Wasser zu schweben. Welch eine Aussicht musste sich da bei Sonnenschein eröffnen?
Ein Stück hinter Tovik überrede ich mich zu einem kleinen Spaziergang zum Fjordufer hinunter. Der schmale Trampelpfad ist aufgeweicht und bot nur wenig Halt. Am Ufer des Astafjords ist eine der inzwischen 32 Nordlandskulpturen zu finden. Nach dem kurzen Spaziergang ist die Hose reif für die Wäsche. Die Schlammspritzer reichen bis ans Gesäß.
Die Tjellsund- Brücke taucht erst im letzten Moment aus dem dichten Nebel auf. Von ihr bietet sich ein fantastischer Ausblick auf die Fjordlandschaft, nur eben heute mal nicht.

Blick auf Sovøy bei Lavangen

Die letzten Kilometer bis Harstad verlaufen zäh. Wie es schien wollte alles in die Stadt. Der Grund dafür stand auf großen Bannern, die über die Straße gespannt waren und mir auf den letzten Kilometern den Weg wiesen. Sie kündeten vom Mittsommerfest in der Stadt. Von Livemusik, Schiffsparaden und vielem mehr war da die Rede. Dank des schlechten Wetters konnte ich ungehindert bis zum Hafen fahren und dort auch einen Parkplatz finden. Unter anderen Umständen wäre ich wohl nicht einmal bis zum Stadtrand gekommen.
Die Hoffnung, etwas vom Festtrubel zu sehen, wurde vom Regen fortgespült. Der Platz am Kulturhaus lag einsam und verlassen vor mir. Von der Schiffsparade war lediglich der Schoner „Anne Rodge“ übrig geblieben, die eh ihren Heimathafen hier hat. Obwohl die Norweger hart im Nehmen sind lassen sich kaum Menschen auf der Straße sehen. Und begegnet mir doch einer, so sprechen ihre Mienen vom Trübsinn dieser Tage.

Stimmung bei Tennevoll

Ein großer blauer Kasten, der sich bei näherer Betrachtung als überdimensionales Radio entpuppt und mit „Barnes Festspillradio“ beschriftet ist, zeugt von großen Dingen, die auch für die Kleinen geplant waren.
Nach einer halben Stunde war ich ziemlich durchnässt, trotz Texapore und wasserabweisenden Schuhen und verzichtete auf eine weitere Stadtbesichtigung. Vielleicht ist morgen ein besserer Tag, um Eindrücke der Stadt zu sammeln. Ich fahre zurück zum Campingplatz und buche eine Hütte.

Nordlandskulptur bei Tovik

Am Abend war dem Regen schließlich die Kraft ausgegangen. Kaum dass die letzten Tropfen gefallen waren, kamen Kinder aus Wohnwagen und Hütten und tobten ausgelassen herum. Anstatt Badeshorts, Bikinis und Wasserlatschen trugen sie wasserfeste Regenjacken und -Hosen, Gummistiefel und Südwester. Und dennoch hatten die Kinder ihren Spaß.
Ein kleiner norwegischer Junge, der mir bei einem kleinen Rundgang über den Weg lief, plapperte munter drauf los, ungeachtet dessen das ich ihn nicht verstand. Dennoch kam ich dahinter was er meinte, da er immer wieder auf eine Karte zeigte, die am Versorgungshaus angebracht war. Er suchte wohl den Swimmingpool, den der Platz in Ballangen aufweist. Ich zeigte auf eine andere Stelle der Karte, die unseren Platz markierte. Er verstand mich auch ohne Worte, schaute noch einmal Richtung Bucht, zuckte mit den Schultern, was wohl soviel heißen sollte: "Dann muss ich halt was anderes spielen."

Kirche von Sandtorg

Wenig später sah ich ihn wieder. Gleich unter meiner Hütte spielte er mit einem Mädchen Ball fangen. Irgendwann schaute er zu mir hoch, erkannte mich und winkte mir zu. Ich winkte zurück, dann sagte er etwas zu dem Mädchen, worauf sie es dem Jungen gleichtat.
Sprach ich heute von Einsamkeit? Da müsst ihr mich falsch verstanden haben! Schaut doch nur den Kindern zu, sie zeigen uns wie man das Leben bei jedem Wetter genießen kann. Ich werde jetzt noch einen Spaziergang machen, also bis später.








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