Samstag, 17. Juli 2010

Norwegen 2005 - Zu Land und Wasser - 28. + 29. Vorsicht wild!

Vorsicht wild!

Schon am Vorabend hatte ich mich bei der Touristeninformation nach Tourmöglichkeiten im Gebiet um Geilo erkundigt. Die Mitarbeiter dort sind sehr freundlich und die Öffnungszeiten im Sommer sehr großzügig bemessen. Bis 20:00 Uhr (Stand 2005) ist die Touristeninfo geöffnet und wer etwas später kommt wird auch nicht abgewiesen, solange die Türen noch offen stehen.
Ich interessierte mich für ein ganz bestimmtes Angebot. Mir war zu Ohren gekommen, dass es geführte Touren auf den Spuren des Luchses geben sollte.
Die Antwort auf meine diesbezügliche Frage kam dann aber eher zögerlich. Ja, es werden solche Touren angeboten, die Nachfrage sei aber sehr gering. In diesem Sommer hatte es erst eine Tour gegeben. Nach den Voraussetzungen für die Durchführung einer solchen Tour gefragt, lautete die Antwort, mindestens vier Personen.
Neben mir stand Jon, ein Niederländer, wie ich später erfuhr. Er hatte unser Gespräch mitbekommen und erklärte sich gleich bereit an einer solchen Tour teilzunehmen. Wir wurden auf den nächsten Tag vertröstet und sollten uns gegen zehn Uhr wieder einfinden.


Pünktlich erschienen wir im Touristencenter, um uns nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Wie befürchtet gab es keine weiteren Interessenten. Der Scout würde wohl zur Verfügung stehen, aber für zwei Personen lohne sich der Aufwand nicht. Jon und ich besprachen uns und machten einen Vorschlag. Wir waren bereit jeweils die Hälfte der Kosten für eine dritte Person zu zahlen. Das Angebot wurde mit Erstaunen aufgenommen und musste mit dem Hauptverantwortlichen besprochen werden. Nach fünfzehn Minuten bekamen wir das Okay, nachdem man uns ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass es keinerlei Garantien für die Sichtung eines Luchses gab und wir mussten für alles (Verpflegung, Zelt etc.) selbst sorgen.
Um dreizehn Uhr trafen wir uns erneut und fuhren mit dem Fahrzeug des Scouts in Richtung Dagali. In der Nähe sollte unser Ausgangspunkt für die anderthalbtägige Tour sein.



Es war verdammt warm und schon nach wenigen hundert Metern zerrte der Rucksack, nebst Kameraausrüstung und Zelt mit Schlafsack heftig an den Schultern. Rund fünfundzwanzig Kilo nannte ich mein, wovon knapp die Hälfte auf meine Fotoausrüstung fiel. Jon erging es kaum anders und schon bald rann uns der Schweiß in feinen Rinnsalen über das Gesicht. Das wird kein Spaziergang, ging es mir durch den Kopf. Und wofür das Ganze? Für lästige Insekten, die sofort zu unseren ständigen Begleitern wurden, für einen zunächst doch sehr schweigsamen Scout und für die nicht mal dreiprozentige Chance einen Luchs zu sehen. Na, das ist doch allemal knapp hundert Euro und die Strapazen wert, oder?
Immerhin stießen wir nach knapp zwei Stunden bereits auf erste Spuren. Ein Tatzenabdruck und kurz darauf auf Ausscheidungen, die von einem Luchs stammen sollen. Mit dem Tatzenabdruck konnte ich ja noch etwas anfangen, aber mit dem Haufen? Für mich sah er aus wie jeder andere auch. Aber warum sollten wir unserem Scout misstrauen. Schließlich waren wir ja hier, um etwas zu lernen. Die Spuren waren mindestens 24 Stunden alt, das alles las er aus der Hinterlassenschaft.



Der schattige Wald milderte die unbarmherzige Sonne etwas, dennoch erreichte das Thermometer stolze 27°C im Schatten. Nach knapp fünf Stunden hatten wir gerade mal zehn Kilometer hinter uns gebracht, wie mein Schrittzähler mir verriet.
Es wurde Zeit das Nachtlager zu errichten und vor allem für eine Stärkung.
Nach dem Essen wurde dann die nähere Umgebung erkundet. Es dauerte nicht lange bis wir erneut auf eine Fährte stießen. Ole, der bis dahin doch sehr sparsam mit seinen Worten umging verfiel geradezu in einen Rederausch und merkte dabei nicht, dass er norwegisch und nicht englisch sprach, so dass wir nur sehr wenig von dem verstanden, was er sagte. Seiner Ansicht nach waren die Spuren nur wenige Stunden alt, es musste sich demnach zumindest eine, wenn nicht sogar zwei Katzen in der Nähe befinden. Doch außer weiteren Spuren und einigen Haaren an einem abgebrochenen Ast bekamen wir nichts weiter zu sehen.


Gegen 23:00 Uhr krochen wir in unsere Zelte. Es wurde eine kurze Nacht. Um vier Uhr weckte Ole uns. Immerhin hatte er schon Kaffee gekocht und ich wusste was ich nicht mitgenommen hatte, einen Kaffeebecher. Ole schmunzelte und reichte mir seinen Zweiten, den er für solche Fälle immer dabei hatte. Nur langsam trieb der starke Kaffee die Müdigkeit aus den Knochen. Zelt abbauen und zusammenpacken wollte noch nicht so recht von der Hand gehen. Zudem wäre ich beim Waschen beinahe ganz in den eiskalten Bach gestürzt. Ole wollte der frischen Spur vom Abend weiter folgen. Er ermahnte uns nicht zu vergessen, dass wir es mit einem Raubtier zu tun haben. Die zweite Spur könnte auch darauf hindeuten, dass die Katze mit einem Jungtier unterwegs ist und dann könnte uns Unachtsamkeit gefährlich werden. Ole wollte dahingehend kein Risiko eingehen. Sollte sich sein Verdacht bestätigen, würden wir dieser Spur nicht weiter folgen.

Jon hatte sich am Vortag eine unschöne große Blase gelaufen. Auf den ersten Metern bereitete sie ihm große Schmerzen, erst als er die Schuhe gewechselt hatte ging es besser.
Nach einiger Zeit verlor sich die zweite Spur. Wir fanden Überreste eines größeren Vogels, ob diese jedoch vom Luchs stammten war zweifelhaft. Und mit jeder Stunde, die verging sank unsere Chance auf eine Sichtung.
Gegen Mittag legten wir eine längere Rast ein und Jon bereitete das Essen vor. Kurz vorher hatten wir eine frische Spur entdeckt, das heißt unser Scout hatte sie gesehen. Die Ausscheidungen waren noch feucht und wohl kaum älter als zwei bis vier Stunden, so seine Vermutung.


Während Jon die Suppe rührte wollte ich die nähere Umgebung erkunden. Mir war klar, dass dies wohl die letzte Möglichkeit dafür darstellte. Ich kehrte bis zur Fundstelle zurück und folgte den teilweise sichtbaren Fährten. Der Waldboden war ziemlich trocken und nur ab und an waren die Abdrücke der Tatzen in der staubigen Oberfläche zu erkennen. Der Wald war hier verhältnismäßig dicht, eigentlich ideal für eine Raubkatze, um sich von der nächtlichen Jagd zu erholen und zu verstecken. Als sich vor mir eine Lichtung auftat wollte ich kehrt machen, doch irgendetwas hielt mich davon ab. War da etwas am Rand der Lichtung? Hinter einem Baum blieb ich stehen und nahm meine Kamera mit dem 500er zur Hilfe. Dank der digitalen Brennweitenverlängerung schaute ich durch ein 750er Objektiv. Am Rand der Lichtung waren mehrere große Steine, aber hinter einem bewegte sich doch etwas, oder war das nur eine Täuschung? - Nein, keine Täuschung! Unglaublich, aber hinter dem Stein döste tatsächlich ein Luchs. Ich war gut siebzig Meter von der Stelle entfernt und drückte auf den Auslöser. Doch das leise Klicken reichte aus, um die Katze aufzuschrecken. So hob den Kopf und schaute direkt in meine Richtung. Ich machte weitere Bilder und dachte nicht über die möglichen Konsequenzen nach. Was wenn sie mich gewittert hatte, würde sie fliehen oder auf mich zukommen? Ich blieb ganz still stehen und beobachtete den Luchs. Nach einer Ewigkeit, oder auch nur fünf Minuten legte sich die Katze wieder hin. Langsam und ohne sie aus den Augen zu lassen bewegte ich mich von ihr weg.


Zwanzig Minuten später war ich wieder im Lager und zeigte Jon meine Entdeckung. Die Suppe war Nebensache. Er schnappte sich die Kamera und machte sich zusammen mit Ole auf den Weg, den ich ihnen beschrieben hatte.
Beide hatten die Katze noch zu Gesicht bekommen. Jon hatte sie jedoch nur noch von hinten fotografieren können als sie flüchtete.
Auf unseren Rückweg war der Luchs das einzige Thema. Wir waren uns einig, unsere von Mückenstichen geschundenen Arme und Gesichter, die schmerzenden Blasen und die wund gescheuerte Schulter waren es für diesen einen Moment wert gewesen. Und selbst Ole bestätigte, dass er froh war diese Tour angenommen und nicht abgelehnt zu haben. Solche Begegnungen sind einfach zu selten, als dass man sie vorbeiziehen lassen konnte.


Bei all der Freude und den überschwänglichen Reaktionen wären wir beinahe über eine andere Begebenheit gestolpert und das im wahrsten Sinne des Wortes. Mitten auf einen Schotterweg schlängelte eine schwarze Kreuzotter und versuchte im Schutz des Gestrüpps zu entkommen. Zwei Begegnungen mit wilden und nicht ganz ungefährlichen Tieren an einem Tag. Wenn das kein Abenteuer ist.







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