Sonntag, 9. Mai 2010

Norwegen 2005 - Zu Land und Wasser - 22. – Teil 3 – Lunde auf Runde

Lunde auf Runde

Den ganzen Tag gelaufen, da fiel das Autofahren und erst recht das Zelt aufbauen schwer. Ich sehnte mich nach einigen ruhigen Stunden im Liegestuhl. Nein, heute wollte ich keinen Schritt mehr tun. So jedenfalls die graue Theorie. Aber ich konnte meine Füße nicht stillhalten und musste mir unbedingt noch einige Informationen am Kiosk des Campingplatzes Gyksøyr holen. Betrieben wird der Platz von einer deutschen Familie, aber auch norwegische Angestellte waren hier anzutreffen. Die junge Frau, die mich freundlich fragte ob ich das erste Mal hier sei, gehörte dazu.
Ja, ich war zum ersten Mal auf Runde und natürlich war ich wegen der Papageientaucher, auch Lunde genannt, gekommen. Als erstes bekam ich ein Faltblatt, es informiert über die verschiedenen Vogelarten, die hier zu beobachten sind. Krähenscharbe, Trottellumme, Tordalk, Eissturmvogel und andere Möwenarten sind auf Runde anzutreffen. Und dann folgte noch der Hinweis, dass die Papageientaucher am besten in den Abendstunden ab 21:00 Uhr zu beobachten sind.




Meine Frage, wie es denn am nächsten Morgen mit Beobachtungen aussah muss wohl ziemlich dumm geklungen haben. Den ganzen Tag über halten sich die Tiere draußen auf dem Meer auf. Aber dafür bekam ich dann noch die Information, dass auch Schifftouren um den Vogelfelsen herum angeboten werden. Ein verlockendes Angebot, besonders bei einem sehr moderaten Preis von umgerechnet 20 Euro, für etwa zwei Stunden. Ich bedankte mich und kehrte zu meinem Zelt zurück. Sollte ich wirklich noch heute Abend zur Beobachtung auf den Berg? Mein Herz sagte ja, schließlich war ich deswegen hierher gekommen. Der Rest meines Körpers protestierte lautstark, besonders meine Beine.
Eine halbe Stunde verbrachte ich noch im Liegestuhl. Äußerlich wirkte ich ruhig, doch in mir kämpfte das Für und wider einen erbitterten Kampf. Wenn ich ehrlich bin hatte das Wider überhaupt keine Chance. Die Worte der jungen Frau hatten mich bereits infiziert. Das sah man ganz deutlich daran, dass ich häufiger auf die Uhr sah. Die halbe Stunde war kaum verstrichen, da machte ich mich daran den Rucksack und die Kameraausrüstung zu schnüren. Zwei Objektive sollten reichen. Das 170 – 500er, Papageientaucher waren ja nicht die größten Vögel, und mein Standardobjektiv 28 – 70. Ein bisschen Obst, ausreichend zu trinken gehörten auch dazu. Festes Schuhwerk wurde auch empfohlen, besonders nach dem lang anhaltenden Regen der letzten Wochen.



Um acht Uhr war ich abmarschbereit. Kaum hatte ich den 12 Kilo schweren Rucksack geschultert, meuterte mein müder Körper: „He, was soll das? Morgen ist doch auch noch ein Tag“, und zur Bestätigung schmerzten meine Waden. Ich ignorierte jedes Zeichen und ging los. Zuerst ein Stück die Straße hinunter und dann nach links den Pfad hinauf. Schon an der ersten Schleuse brannten die Oberschenkel. Dreißig Kilometer sind eben kein Pappenstiel, doch an umkehren dachte ich nicht mehr. Wenn ich einmal etwas anfange führe ich es auch zu Ende. Die Schleusen sind dazu da, die Schafe nicht entwischen zu lassen. Einige von ihnen sehen mich mitleidig an, doch da hatte ich den steilen Abschnitt bereits hinter mir. Der Weggrund änderte sich. Aus dem Schotter wurde Lehmboden und sumpfiger Untergrund, der teilweise auf Holzbohlen überbrückt wurde. Fast am Ziel ist vom Weg nur noch ein Trampelpfad übrig. Hier kommt auch der Abzweig links nach Lundera oder rechts zu dem anderen Federvieh.




Für mich keine Frage, zudem hatte ich von einem Paar noch den Tipp bekommen mich noch weiter links zu halten. Um eine kleine Felsnadel herum. Von dort sollte der Ausblick besonders gut sein. Aber genau diese kleine Felsnadel verhinderte, dass ich den Punkt erreichte. Auf sieben, acht Meter war man dem freien Fall ausgesetzt. Nichts für einen Flachlandalpinisten wie mich. Also kehrte ich dorthin, wo sich bereits eine Gruppe von Menschen versammelt hatte und in die Tiefe starrte.Auch der Weg war nicht gerade nach meinem Geschmack, aber wie heißt es so schön: „ No risk, no fun!“ Also Zähne zusammenbeißen, schön einen Schritt vor den anderen gesetzt und bloß nicht in die Tiefe sehen. Das Zäunchen zwischen mir und dem Abgrund, war auch nicht dazu angetan Vertrauen zu erwecken. Nach einer Ewigkeit, wie mir schien, hatte ich es geschafft. Zum Glück hatte niemand Notiz von meiner Kraxelei genommen, sonst wären die Vögel an dem Abend wohl zur Nebensache geworden.



Ich machte es mir auf einen Felsen bequem und harrte nun der Dinge, die da folgen sollten. Einzelne der kleinen Flugakrobaten schossen an uns vorbei, viel zu schnell für ein Foto. Zeit sich einmal umzusehen, was die anderen so an Ausstattung bei sich hatten. Da waren gewaltige Kaliber vertreten, bis hin zur 600er Festbrennweite. Der ein oder andere versuchte auch tatsächlich, mit diesen Gerätschaften, die kleinen, „Buntschnabelraketen“ im Flug abzuschießen, bildlich gesprochen.Nun, Versuch macht klug, sagt ein Sprichwort. Ich ließ es nach den ersten vierzig Fehlversuchen gleich wieder bleiben. Keines dieser kleinen Tiere machte Anstalten in einer erreichbaren Nähe zu landen. In Gedanken machte ich mich bereits auf den Weg in die andere Richtung, wobei ich mir noch eine Viertelstunde zubilligte. Und während ich so mein Supertele als Fernglas benutzte und in die Ferne schweifte, wäre mir das Beste beinahe entgangen. Da landet so ein kleiner Luftclown keine drei Meter von meinen Füßen entfernt.



Und ich, nein, wir waren allesamt mit unseren Superrohren bewaffnet. Dabei war ich sogar noch im Vorteil, weil ich ein Telezoom benutzte. Während die anderen nun die Kaliber wechselten machte ich mit der kürzesten Brennweite die ersten Nahaufnahmen. Es folgten ein Zweiter und ein Dritter, die allesamt drei bis vier Armlängen von uns entfernt hockten. Der vierte Papageientaucher hatte seinen Schnabel voll kleiner Fische die links und rechts einige Zentimeter herunter hingen. Dazu fiel mir sogleich folgender, vermenschlichter Dialog ein:

"He Jungs, ich hab was zu fressen mitgebracht", schien der mit den Fischen zu sagen und schaute die anderen abwechselnd an.
Der vor meinen Füßen machte kurz einen langen Hals: "Was gibst denn?"
"Na was wohl, Fisch natürlich. Blöde Frage."
"Ach nö, nicht schon wieder. Lass mal gut sein", antwortete dieser und erhob sich in den Himmel.
"Ja wie jetzt? Und was ist mit dir, Kumpel?"
"Lass mich bloß mit deinem Fisch zufrieden", sagte der dritte und wendete sich demonstrativ ab.
"Undankbare Bande, dann eben nicht", und schwups war er mit den Fischen wieder verschwunden.


Inzwischen herrschte ein ständiges Kommen und gehen (fliegen), und der kleine Fels füllte sich zunehmend. Die Landung ist für die Papageientaucher gar nicht so einfach mit ihren kleinen Schwimmfüßen. So gewandt wie sie fliegen so ungeschickt sieht ihre Landung jedes Mal aus. Und manchmal hilft dann nur noch durchstarten, wenn die glatten Füße keinen Halt finden.
Die Kameras mussten zeigen, dass Dauerbetrieb keine Probleme verursachte. An dieser Stelle werde ich das große Tuch des Schweigens darüber ausbreiten, wie viele Bilder ich an diesem Abend und der Nacht gemacht habe. Man könnte auch sagen, an diesem Abend hockten so an die fünfzehn ganz und gar wahnsinnige Individuen, im positiven Sinne, und machten Kameradauerfunktionstests für Nikon, Canon und Co.



Irgendwann wollte ich dann doch mal meinen Standort wechseln. Auch auf die Gefahr hin, dass sich die kleinen Racker davonmachten. Doch weit gefehlt. Neugierig schauten sie zu uns hinüber und ließen sich nicht weiter von uns stören.
Kaum hatte ich den Stein, auf dem ich gesessen hatte, freigegeben huschte so ein kleiner Clown unter dem Zaun her, schaute kurz und verschwand unter dem Felsblock. Erst in Sicherheit konnte man ihn schimpfen hören. Die Geräusche erinnerten entfernt an das leise Fauchen einer Katze. Vielleicht wollte er mir ja damit sagen: „Wurde aber auch Zeit. Unverschämt sich einfach auf mein Haus zu setzen. Demnächst frag mich ob es mir recht ist. Damit du es weißt, ist mir nicht recht! Verstanden?“
Inzwischen war Lunde Fischmaul wieder aufgetaucht.
„He Jungs und Mädels, wie wäre es mit Fisch?“
„Halts Maul!“
„Man wird ja wohl noch fragen dürfen. Dann eben nicht.“



Natürlich wartete der arme Kerl darauf endlich in seine Höhle zu kommen, die von einem der Fotofetischisten belagert wurde. Aber die kleinen Kunstflieger besitzen eine ausdauernde Geduld. Die Wartezeit vertreiben sich mit putzen, schütteln ihr Gefieder aus oder Schnäbeln ein bisschen mit einem Artgenossen. Ohne dabei zu ahnen, dass das alles gute Gründe für uns sind noch ein wenig länger zu bleiben. Gegen Mitternacht wurden dann endlich die Gerätschaften verpackt und der allgemeine Aufbruch eingeläutet. Wie gut für die kleinen, tollpatschig wirkenden Vögel, dass auch wir Menschen unseren Schlaf brauchen.



Das war ein wunderschönes Erlebnis. Dabei waren Müdigkeit, das schwere Gepäck und die schweren Beine in Vergessenheit geraten. Wenn mir vorher jemand erzählt hätte, dass die kleinen Vögel zum Greifen nah vor dir sitzen, wäre er wohl von mir belächelt worden.
Der Rückweg machte mir überhaupt nichts aus. Den noch freien Speicherplatz verwendete ich für die Aussicht auf den Campingplatz, den Bergen im letzten Licht der untergegangenen Sonne und den zwei jungen Eissturmvögeln.
Dies war wohl einer der schönsten Tage meiner diesjährigen Tour. Und dass ich bei nächster Gelegenheit wieder hierher zurückkehre steht außer Frage.
Die Gruppe, mit der ich diese schönen Stunden im überwiegenden Schweigen verbracht hatte war international. Sie kamen aus Frankreich, Italien, Niederlande, Schweden und sogar aus Neuseeland. Wenn das keine Visitenkarte für die Vogelinsel Runde ist, dann weiß ich auch nicht.



Heute mal ohne Bildkommentare



















Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen