Sonntag, 31. Januar 2010

Norwegen 2005 - Zu Land und Wasser - 12. Am Wendepunkt

Am Wendepunkt

In der letzten Nacht an Bord war die See zum ersten Mal unruhig. Nichts was auch nur annähernd als dramatisch zu bezeichnen gewesen wäre, es war einfach nur spürbar.
Am frühen Morgen erreichten wir Vadsø. Es war still, nur ein einzelnes Fischerboot tuckerte langsam aus dem Hafen vorbei am überdimensionalen, vergänglichen Ortsnamen, wenn die vielen tausend Blumen erst verblüht waren. Danach blieb noch genügend Zeit für ein letztes ausgiebiges Frühstück an Bord. Ein weiterer Abschnitt meiner Reise war unwiderruflich abgeschlossen. Zum einen bedauerte ich den Umstand, auf der anderen Seite freute ich mich auf die kommenden Dinge.

Im Hafen von Vadsø

Um viertel vor Neun erreichten wir den Hafen von Kirkenes. Drei Stunden Aufenthalt hatte die Richard With. Das Ausschiffen verlief so reibungslos, wie das Verladen in Bergen. Alles ging ruhig und gelassen vonstatten, so sehr, dass die Besitzer des neben mir parkenden Autos sich alle Zeit der Welt nahmen um ihre sieben Sachen zu verstauen. Irgendwann hatte auch das geklappt und ich durfte als Letzter den Bauch des Schiffes verlassen, weil mein Wagen hinter einer Säule geparkt war.
Noch ein letzter Blick zurück, adieu Hurtigrute und Richard With. Es war eine sehr angenehme Zeit mit all seinen Bequemlichkeiten. Nun hatte ich mir die Wildnis aber redlich verdient.


Kirkenes im Glanz frischer Farben

Mein erster Weg führte mich zum Touristenbüro und zur ersten Enttäuschung. Die Grenzflussfahrt war ausgebucht, nur die Nachttour war noch zu haben. Sicher sehr reizvoll und ein schönes Erlebnis bei entsprechender Witterung. Sollte ich wirklich den ganzen Tag verstreichen lassen? Nach guter Überlegung entschied ich mich dagegen. Wenn ich das Wetter richtig deutete würde es sich bis zum Mittag zugezogen haben. Darüber hinaus war ich nicht bereit neunzig Euro zu zahlen, um letztendlich im Regen zu stehen.

Vertriebenendenkmal am Torget von Kirkenes

Bevor ich mich auf die erste Etappe stürzte wollte ich wenigstens einen kleinen Bummel durch den Ort machen. Ich wählte den Weg hinauf zum Kriegsdenkmal, das an die Befreiung durch die russischen Soldaten erinnerte. Einige Bewohner verliehen ihrem Haus frische Farbe und beseitigten die Spuren des Winters. Weiter zur Andreasgrotte ein ehemaliger Luftschutzbunker aus dem zweiten Weltkrieg. Ein dickes Vorhängeschloss verhinderte den Eintritt. Ich schlenderte die Straße weiter durch ein ruhiges und sauberes Wohngebiet bis zum Torget (Markt). Mit Blumen war hier gut Geld verdienen. Große fahrbare Gestelle mit Stiefmütterchen in allen Farben wurden angeboten und auch gekauft. Ein weiteres Kriegsdenkmal zur Erinnerung an die Vertriebenen ist am Torget zu finden.

Wollgras in Neiden

Eine Stunde war vergangen, doch die Zeit schien in Kirkenes stehen geblieben zu sein. Zumindest dann wenn man sich nach der Kirchturmuhr richtete. Die Uhr war seit Jahren defekt und zeigte noch immer die gleiche Zeit, wie schon 2002 als ich das erste Mal in Kirkenes war.
Trotzdem wurde es Zeit, dass ich mich auf den Weg machte. Das erste Teilstück bis Tana Bru war mir bekannt. Gleich hinter Kirkenes beginnt ein acht Kilometer langer Abschnitt, welcher militärisches Sperrgebiet ist. Anhalten und fotografieren verboten. Die Motive waren, zumindest für mich, nicht wirklich ansprechend, so verspürte ich auch gar keinen Drang einen Stopp einzulegen.

Der Skoltefossen bei Neiden

Der Blick auf Neiden und dem Fluss im Tal, sowie dem Skoltefossen, luden schon eher zum Verweilen ein. Darüber hinaus zeigte sich das Wetter wesentlich freundlicher als vermutet. Allerdings machte ich hier auch gleich Bekanntschaft mit üblen Gesellen, die einem das Blut aus den Adern saugten. Man nennt sie auch die gemeine Stechmücke. Wenn man so gar nicht darauf vorbereitet ist, gelingt es den Biestern doch tatsächlich ihr grausames Werk zu vollenden. Das Ergebnis sind dann rasch anwachsende Schwellungen mit unangenehmem Juckreiz.

Blick auf Bugøynes

Grund genug das nächste Ziel aufzusuchen. Bugøynes, ein Fischerdorf in dem finnische Auswanderer leben und das als Zentrum für den Kamkatschka –Krabbenfang bekannt ist. Zudem war der Ort zum Kriegsende hin nicht niedergebrannt worden, so dass der finnische Baustil erhalten geblieben ist.
Mein erster Eindruck, es ist ein Dorf wie jedes andere auch. Als Laie ist man auch nicht in der Lage die Unterschiede der Baustile zu erkennen. Oder vielleicht bin auch nur ich nicht dazu fähig, kann ja sein. Mein zweiter Eindruck, es ist ein Ort der Gegensätze.

Fischerboote im Hafen

Mein erster Weg führte mich bis zum Ende der Hauptstraße. Dort liegt eine kleine Werft in der die Fischerboote überholt werden. Drei größere Schiffe lagen dort vor Anker. Dabei handelte es sich um russische Fischtrawler. Ihr Äußeres verriet warum sie hier standen. In meinen Augen ein Haufen Schrott. Dieser war auch im Umfeld der Werft, links und rechts der Straße, zu finden, die hier ohne Teerkleid auskommen musste. Ein trostloser und zugleich trauriger Fleck, der die Natur verschandelte, wenn nicht gar schädigte. Wer weiß schon was sich so alles in den verrottenden Fässern befindet.

Spatz auf einen Gartenzaun

Ich verließ diesen Teil des Ortes und kehrte rechts ein. Ich folgte dem Weg des Kreuzes welches weithin sichtbar war. Hier zeigte sich die andere Seite des Dorfes. Kleine Holzhäuser mit rotem, grünem, blauen oder weißem Anstrich. Mit freundlichen Menschen, die auch den Fremden in ihrem Ort grüßen. Ein kleiner Spatz nimmt mitten auf dem Weg ein Sandbad, ein anderer sonnt sich auf einen weißen Gartenzaun sitzend. Der große Kinderspielplatz ist verwaist, doch zeugen Plastikeimer, Holzspielzeug und zwei Tretautos von der regen Nutzung. Gleich gegenüber Stilleben. Eine alte Zinkwanne unter einem tropfenden Wasserhahn oder die Überreste einer ehemaligen Tankstelle. Ein Ort der in seiner Gesamtheit Freundlichkeit, Frieden, aber auch Gegensätze ausstrahlt.


Stilleben. Zinnwanne, Bootssteg und -Haus

Auf der einen Seite die Vergänglichkeit, symbolisiert durch die sterbenden Schiffe und auf der anderen Seite das Leben. Eine Art Kro oder Vertshus hatte ich im Dorf nicht gefunden, so legte ich am Abzweig zur E 6 auf einen schön gelegenen Parkplatz eine Brotzeit ein. Von hier hat man Ausblick auf den Bugøyfjord und die Sonne zeigte wozu sie fähig war, wenn sie denn durfte und nicht von Wolken daran gehindert wurde.

Rentiere, im Norden fast überall anzutreffen

Gut gestärkt setzte ich meinen Weg fort. Zwischen Javravbonna und Varangerbotn weideten zahlreiche Rentiere und bildeten schöne Motive mit der umliegenden Landschaft. Meine nächsten Ziele waren Nesseby und der Kulturpark Mortensnes. Die alte Kirche von 1858, die einsam auf eine Art vorgelagerter Insel steht, war verschlossen. So blieben mir nur die Außenansicht und die Betrachtung der alten eisernen Grabkreuze aus derselben Zeit. Einige Seevögel hatten sich hier ebenfalls niedergelassen, wie eine Hinweistafel am Parkplatz aussagte.

An den Menschen gewöhnt lassen sie sich kaum stören

Im Garten eines einzelnen Wohnhauses grasten zwei Pferde, eines davon war ein Fjordpferd. Beinahe so aufmerksam wie Wachhunde, verfolgten sie jeden meiner Schritte. Erst als ich mich weit genug entfernt hatte zupften sie mit ihren wulstigen Lippen frische Gräser vom Erdreich.
Nur wenige Kilometer liegt Mortensnes. Hier sind Spuren von Besiedlungen gefunden worden, die mehr als 6000 Jahre alt waren. Diese Funde liegen auf einem weitläufigen abgegrenzten Areal. Leider blieb mir der Zutritt verwehrt, das Tor war verschlossen, ebenso das kleine Gebäude. Und unter der hinterlassenen Telefonnummer meldete sich auch niemand. So blieb nur ein Spaziergang auf dem übrigen Gelände, welches außer der würzigmilden Luft und kleinen Blumen zwischen rauem Felsgestein nichts weiter bot.

Grabkreuz auf dem Friedhof von Nesseby

Auf dem Weg zurück nach Varangerbotn ein weiteres Bild der Vergänglichkeit. Ein halb verwestes Rentier, etwas abseits der Straße auf einem Felsblock. Das Werk eines Raubtieres? – Wohl kaum, es sei denn der Mensch zählt zu dieser Kategorie. Alles deutete darauf hin, dass ein Wilderer oder Trophäenjäger am Werk gewesen sein muss. Die Ohren waren abgeschnitten und lagen vor dem Stein. Das Gehörn fehlte gänzlich und das Tier lag dort wie auf einem Opferstein. Dieses Bild stimmte mich traurig. War das, das Werk eines Touristen? – Die Frage wird wohl unbeantwortet bleiben, ebenso die eines sinnlosen Todes. Die Bilder dazu erspare ich euch.

Klein und fast unscheinbar, die Polarblume

In Tana Bru wurde es Zeit den Tag zu beenden. An der einzigen Tankstelle im Ort eine weitere unangenehme Überraschung. Der Benzinpreis lag inzwischen bei 1,45 €. Eine Woche zuvor, in Odda, zahlte ich noch rund 1,30 €. Aber davon ließ ich mir die Urlaubslaune nicht verderben. Was den gottverdammten und völlig überflüssigen Stechmücken unter gewissen Umständen schon gelingen konnte. Sie machten es mir wirklich schwer den milden und trockenen Abend im Freien zu verbringen.











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