Sonntag, 19. Dezember 2010

Norwegen 2006 - Eine Winterreise mit der Hurtigrute - 2. Tag Teil 2 - Intermezzo

Intermezzo

Eine Reise ohne Überraschungen ist wie Weihnachten ohne Geschenke. Ich weiß nicht ob und wer das gesagt hat, aber wenn es denn jemand gesagt haben sollte, dann hat er es sicherlich ganz anders gemeint.
Die erste Überraschung hatte ich bereits in Kiel empfangen, der Hinweis darauf, dass die „Kronprinz Harald“ mit dem ich meine Reise beenden sollte einen Motorschaden hatte.
Die zweite Überraschung ereilte mich gleich nach dem Einchecken auf der MS Midnatsol. In der Annahme die Kabine noch nicht beziehen zu können fragte ich also wann ich dies tun könnte. Erstaunte Blicke erntend wurde mir im Brustton der Überzeugung mitgeteilt, dass ich selbstverständlich sofort meine Kabine beziehen könnte.
Wie schön und angenehm nach der langen Bahnreise. Und wie schnell mein Gepäck vor der Kabine geparkt wurde. Kaum mehr als zwanzig Minuten waren vergangen seit ich an Bord gegangen bin. Im Sommer musste ich beinahe drei Stunden warten.

Midnitsol Deck 9 - Freiluft- Whirlpool und Duschkabinen mit Lichtspiel

Wenig später dann die Erklärung. Die Midnatsol war gar nicht als Postschiff unterwegs gewesen. Es hatte die letzten sechs Wochen als Hotelschiff gedient. Das große Reinemachen nach dem Einlaufen im Hafen und das damit verbundene Warten auf die Kabine, so wie im Sommer, fanden nicht statt.
Während des Abends wurden uns dann noch verschiedene andere Kleinigkeiten mitgeteilt. Da war zunächst die Tatsache, dass wir unseren Liegeplatz verlassen mussten, wegen Hochwasser. Dann der Hinweis, dass wir erst gegen Mitternacht auslaufen würden, weil am ersten Montag im Dezember das traditionelle Weihnachtsessen an Bord stattfindet, an dem auch Gäste aus der Stadt teilnehmen können. Tatsächlich war der Speisesaal mehr als gut gefüllt. Und wie sich später zeigte waren wir gerade mal fünfzig Touristen an Bord!
Aber damit war das Überraschungspaket noch keinesfalls vollständig. So wurde uns mitgeteilt, dass wir morgen vor Ålesund einen Umweg fahren müssen, weil wir wegen des Hochwassers wohl nicht unter die Brücken passen. Und zu dem erwartete man Sturm am Westkap.
„Na denn mal zu, das geht ja gut an!“


Das Wasser dampft, die Lichter funkeln. Verführung um den Gefrierpunkt

Und als ob das alles für einen Tag noch nicht reichte hatte ich beim Abendbüfett mal wieder das ausgesprochene Glück ganz reizende Tischnachbarn zu haben.
Er, wahrscheinlich Anfang fünfzig, Typ erfolgreicher Geschäftsmann, Midlifecrisis hinter sich und den dritten, vierten oder auch fünften Frühling gerade entdeckend.
Sie, Grund für diese Frühlingsanwandlungen, mindestens zwanzig, wenn nicht mehr Jahre jünger, verdammt gut aussehend aber blond. Ist ja auch nicht weiter tragisch, wenn da bloß nicht dieses Gespräch gewesen wäre.
Er: „Weißt du Liebling, das ist ja gar nicht so einfach einen Schlussstrich zu ziehen. Darin habe ich keine Erfahrung, das muss ich erst lernen.“
Sie: „Was soll das heißen? Du kannst deine Frau nicht noch länger im Unklaren lassen. Du musst ihr reinen Wein einschütten, das ist nicht fair von dir.“
Wie gut für ihn, dass in diesem Augenblick der Kellner erschien und ihm eine Atempause verschaffte. So konnte er schnell mal wieder den feudalen Lebensstil raushängen lassen.
„Wie wäre es mit einem 2000er Beaujaulais, mein Herr?“
„2000er? Haben sie keinen 94er, etwas Anspruchsvolles?“
„Tut mir leid, aber der 2000er ist mindestens ebenso gut.“
„Na schön, dann nehmen wir den“, sagte er bestimmend und etwas zu schnell überzeugt.

Blick in das Foyer mit zehn Meter hohem Weihnachtsbaum

Das lässt mich zu der Vermutung kommen, dass er doch nicht so viel Ahnung hatte, wie er vorgab. Kaum war der Kellner gegangen wurde das Gespräch fortgesetzt. Leider so laut, dass ich überhaupt keine Chance hatte wegzuhören, was ich liebend gern getan hätte.
Sie: „Weißt du, ich finde das echt beschissen von dir. So kannst du nicht mit deiner Frau umgehen, und auch nicht mit mir.“
Bravo Mädchen, bravo. Du bist ja doch nicht so blond wie du aussiehst wollte ich ihr applaudieren und zurufen.
Er: „Aber Liebling, ich brauche doch nur etwas Zeit ...“
Sie: „Zeit? Am liebsten würde ich gleich wieder aussteigen ...“
Ja, tue es, versetz ihm den K.o.- Schlag, denke ich bei mir und hege noch die Hoffnung, dass mir das Essen vielleicht doch noch mundet.
Erneut erscheint der Kellner mit dem flüssigen Gefügigmacher und unterbricht den sich anbahnenden Eklat.
Er hätte sich am liebsten gleich die ganze Flasche an den Hals gesetzt, da jedes ihrer folgenden Worte wie eine schallende Ohrfeige klang.
Sie: „Weißt du was ich glaube, du willst deine Frau gar nicht verlassen. Du benutzt mich bloß, du liebst mich gar nicht.“
Der Schlag hatte gesessen. Fünf Worte aus dem Mund einer Frau, die jede Stimmung eiskalt töten konnten.
Sein Kopf sackte nach vorne und er musste seinen linken Arm zur Hilfe nehmen, um das mit schweren Gedanken gefüllte Haupt zu stützen. Wahrscheinlich sah er in diesem Moment das schöne Geld, welches er für diesen Trip investiert hatte, auf nimmer wiedersehen verloren. Anstatt auf Wolke sieben am Busen des Jungbrunnens, am Boden zerstört und von den Absätzen der High Heels durchbohrt.

Kunst an dem Wänden

Würde er sich noch einmal von diesem Tiefschlag erholen können, fragte ich mich heimlich schadenfreuend.
Tatsächlich unternahm er noch einmal einen Versuch, wobei die Zeit des Schweigens doch schon alles gesagt hatte, oder?
Er: „Aber Liebling, so etwas darfst du nicht einmal eine Sekunde lang auch nur denken. Das ist verschwendete Zeit. Du weißt, dass es nicht so ist wie du sagst. ICH LIEBE DICH! Wären wir sonst hier?“
Wie würde sie reagieren, warum schmeckte mir der Wein auf einmal so fad? Ich ahnte was nun kommen würde.
Seine feuchte und vor Angstschweiß kalte Hand ruhte auf die ihre und ich konnte geradewegs durch ihre Bluse hindurch sehen, wie ihr Herz dahinschmolz. Tropf, Tropf, Tropf.
Ich wollte ihr noch zurufen: „Hör nicht auf das jämmerliche Geschwätz, der wird seine Frau nie verlassen“, doch da war es schon zu spät. Wahrscheinlich kann er sie auch gar nicht verlassen, vielleicht gehört ihr ja das Geschäft und das Vermögen.
Sie: „Tut mir leid, du hast ja recht.“
Da hatte sie ihn gerade noch am Boden liegen, war stark und selbstbewusst. Und nun ging sie selbst zu Boden, auf die Knie oder auf die Matratze und war nur blond und schön.
Er: „Zum Wohl mein Schatz. Wir werden uns eine superschöne Zeit machen“, sagte er mit einem triumphierenden Lächeln und stieß mit ihr an. Kling, schlürf, lechz.
Genau darauf läuft es doch hinaus Mädchen. Geh schon mal in die Kabine und mach dich zurecht. Nee, nee, nicht das Abendkleid, das kleine Rote mit Spitze. Leicht verpackt, damit es nicht in Arbeit ausartet.

Blick vom Panoramdeck der Midnitsol

Nach diesem verbalen Schlagabtausch, mit überraschendem Ende, am Nachbartisch war mein Bedarf an Überraschungen gedeckt. Darüber hinaus haben mich die lange Zugfahrt und das Nichtstun ziemlich ermüdet. Also ab in die Koje.

Am zweiten Abend hat er sich bereits all die kostspieligen Dinge des Vortages gespart. Kein drei Gänge Menü, kein teurer Wein. Seine Worte am Schnellrestaurant des Schiffes:

„Schau mal Liebling, hier gibt es ja auch warme Speisen. Wenn du Hunger hast können wir auch hier was essen.“
Mahlzeit!



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